— Transkript: Der Podcast im Volltext —
Maja Göpel
Die Debatte zur Ungleichheit ist in vollem Schwung. Und zurecht. Meistens gucken wir da erstmal aufs Einkommen. Was dabei so ein bisschen aus dem Feld rutscht, ist die Vermögensungleichheit. Die ist nämlich noch viel rasanter als bei den Einkommen. Aber was ist denn eigentlich Vermögen? So würden wir wahrscheinlich erstmal über einen Haufen Geld nachdenken. Angesammeltes Finanzkapital. Ob ich das verdient habe, ob ich das geerbt habe, ob es in einem Unternehmen gebunden ist oder auf irgendwelchen Konten liegt, viel weniger denken wir darüber nach, was machen wir mit dem Geld? Also, wofür wird es eingesetzt? Welcher Druck wird da ausgeübt auf Unternehmen, und was die heute noch in die Welt bringen können und unter welchen Bedingungen? All diese Fragen sind heute natürlich besonders wichtig, weil das ganze Geldsystem, die ganzen Finanzmärkte nur funktionieren, weil sie staatlich abgesichert sind. Und damit sind wir natürlich bei der Frage nach demokratischer Kontrolle über den ganzen Mechanismus.
Mein Name ist Maja Göpel, ihr hört NEU DENKEN, den Podcast von Mission Wertvoll, und wir spießen heute das Thema Vermögen auf mit Katharina Pistor. Sie ist Rechtsprofessorin an der Columbia Law University und forscht seit Langem dazu, welche Rolle eigentlich die Anwälte und die Rechtschaffenden im Finanzwesen spielen.
Herzlich willkommen!
Katharina Pistor
Ich bin gerne heute bei Ihnen.
Maja Göpel
Katharina, du bist inzwischen nach mehreren Stufen in wissenschaftlichen Universitäten und unterschiedlichen Ländern Professorin für vergleichende Rechtswissenschaft an der Columbia Law School in New York. Im ersten Moment denken sich vielleicht viele, was hat denn jetzt Rechtswissenschaft mit Wirtschaft zu tun? Wir reden doch heute über Wirtschaft hier in diesem Kontext. Und deshalb ist es wichtig, einmal darauf zu verweisen, dass dein wahrscheinlich einflussreichstes Buch “Der Code des Kapitals” heißt. In dem du nämlich zeigst, dass es gar nicht irgendwie nur die Märkte sind, die Vermögen und Verteilung in unseren Gesellschaften organisieren, sondern eben tatsächlich viele rechtliche Mittel. Wie bist du auf diese Zusammenhänge gestoßen? Was hat dich denn eigentlich motiviert, aus dieser Perspektive da drauf zu gucken?
Katharina Pistor
Für mich war ganz entscheidend meine Erfahrung in den frühen 90er Jahren, zur Zeit der deutschen Wiedervereinigung und der Transformation der ehemals sozialistischen Länder. Weil ich dort mit Ökonomen zusammen vor Ort war, in Osteuropa und auch in Russland und die meisten Ökonomen dachten, man muss den Staat wieder rausnehmen und den Markt freisetzen, dann funktioniert die Wirtschaft. Als geschulte Juristin dachte ich mir: Okay, und woher kommen die Eigentumsrechte? Woher kommt die Aktiengesellschaft? Die fällt nicht vom Himmel. Die Rechte, die Aktionäre haben, müssen irgendwo kodifiziert oder kodiert werden, das ist das Wort, das ich benutze, um Rechte zu schaffen, diese komplexen Wirtschaftsabläufe zu ermöglichen. Ohne die funktioniert das nicht. Und das liegt letztendlich im Recht.
Maja Göpel
Also es ist ja immer wieder eine Botschaft zu sagen, Märkte fallen nicht vom Himmel und es sind keine Naturgesetze, sondern das sind menschgemachte Institutionen. Also wir denken uns da Regeln aus und dann eben natürlich auch Rechte und Pflichten. Das wirtschaftliche Neuverhandeln, wie man etwas greifen könnte, ist vielleicht auch Kommodifizieren. Also den Begriff kenne ich tatsächlich, wo eben angefangen wird zu überlegen, wie könnte man denn überhaupt mit beispielsweise Preissignalen den Zugriff steuern auf etwas. Die Atmosphäre ist vielleicht so ein prominentes Beispiel. Ein Gemeinschaftsgut oder ein Gemeingut, wo alle erst mal rein emittieren könnten, wenn wir nicht anfangen, uns zu überlegen, wie regeln wir denn das eigentlich? Und da ist zum Beispiel der Weg über einzelne Emissionsrechte schaffen, da sind wir schon und dann kann ich einen Preis draufkleben. Also wäre das so ein beispielhafter Prozess, der das ganz anschaulich macht, was das Kodieren umfasst?
Katharina Pistor
Ganz genau. Kommodifikation ist ein Begriff, den wir seit Karl Marx kennen, der in der politischen Diskussion, auch in der ökonomischen, da ist. Und was ich im Grunde genommen sage, ist, die Kommodifikation ist das Endresultat der rechtlichen Kodierung.
Erst dann, wenn wir letztendlich eine Sphäre neu benannt haben, eingegrenzt haben und Rechte zugeordnet haben, können wir eigentlich Preise draufsetzen und dann in Transaktionen im Handel diese Sachen, diese Güter hin und her schieben und daraus Gewinne machen.
Maja Göpel
Wie hat sich denn so der Gedanke, was könnte man denn alles als ein Wirtschaftsgut kodieren sozusagen – wie hat sich das historisch entwickelt? Also würdest du da bestimmte Trends beschreiben?
Katharina Pistor
Ja, also ganz sicher war Land das wichtigste Vermögensgut. Bis ins späte 19. Jahrhundert sogar in England, in dem ersten Land, das industrialisiert hat, war das Land das wesentliche Vermögensgut. Und wie man Land nutzt, wer es nutzen kann, zu welchen Bedingungen ist letztendlich das Produkt einer rechtlichen Kodierung. Eigentumsrechte zuordnen, also die Almende, das Gemeinschaftsgut auflösen und einzelnen Landeigentümern das Recht zuweisen, allein bestimmen zu dürfen, wer es nutzen darf und zu welchen Zwecken. Das war die Einhegung, die sich seit dem 15., 16. Jahrhundert ausgebreitet hat. Und die Mechanismen, da entwickelt worden sind, die rechtlichen Mechanismen, die dort entwickelt worden sind, dass man erst einhegt, Rechte zuteilt, die Rechte auch ordnet, also praktisch eine Rangordnung von Rechten herstellt und dann den Eigentümern, die Möglichkeit gibt, entweder ihr Land zu belasten, durch eine Hypothek dadurch Geld zu bekommen und das vielleicht in den Handel zu investieren und so weiter. Diese Mechanismen sind dann letztendlich auf andere Arten von Gütern übertragen worden. Und diese Mechanismen haben natürlich ihren Ursprung im Recht. Und das Recht ist hinreichend abstrakt, dass man mit den gleichen Mechanismen verschiedene Arten von Gütern, Objekten, Ansprüchen, Rechten, Ideen immer wieder neu codieren und damit kommodifizieren kann.
Maja Göpel
Also diese Idee, kann Land, ist ja auch so ein bisschen eigentlich etwas gemeinschaftlich Geerbtes, der Planet, dass man das in Stücke teilt und dann sagt – meins – ist nicht immer so gewesen, oder? Also, das ist eine Erfindung.
Katharina Pistor
Das ist eine menschliche Erfindung. Das sind Ansprüche, die da geschaffen worden sind, dass es ein Einzelner sein soll. Zuvor waren es Gemeinschaften oder Haushalte. Das findet man ja in Teilen Afrikas oder so noch heute, dass Land nicht dem Einzelnen unbedingt zugeordnet worden ist, sondern letztendlich einer ganzen Gruppe, einem Clan, gehört und man irgendwo gemeinschaftlich darüber handhabt. Da gibt es auch Normen, aber informelle Normen. Und was die rechtlichen Mechanismen tun, dass sie das genug abstrakt machen, dass auch verschiedene Leute mit den gleichen Mechanismen Sachen wieder neu gestalten können.
Maja Göpel
Ein Begriff, der, glaube ich, ganz wichtig ist, dass wir den einmal angucken, ist diese Finanzialisierung, weil das ja auch bisschen beschreibt, welche Form von Zuordnung und dann tatsächlich auch Handhabung, in einem ökonomischen Verfahren, so dominant geworden ist. Wie würdest du das beschreiben und wann ist das besonders stark geworden?
Katharina Pistor
Also die Finanzialisierung dieser Begriff, glaube ich, ist aufgekommen vor allem mit den Arbeiten von Greta Krippner und sie beschreibt es, glaube ich, insbesondere seit den 70er Jahren. Also dass praktisch alles, was wir tun, in finanzielle, das heißt Profit-Maßstäbe umgesetzt werden kann. Dass es vor allem eben darum geht, die Möglichkeiten, abzuschaffen, Gewinn abzuschöpfen. Das ist natürlich ein Teil des Wirtschaftssystems ohnehin, aber es durch finanzielle Profite überhaupt es habhaft zu machen oder dass das das einzige ist, worum es geht. Es geht nicht um Normen, es geht nicht um gesellschaftspolitische Ideen, sondern es geht darum, dass man die meisten Profite irgendwo abschöpft und dass man die gesellschaftlichen Prozesse so aufzieht, dass man möglichst viele finanzielle Gewinne daraus abziehen kann.
Maja Göpel
Also ich stelle mir das ein bisschen so vor: Wir setzen eine Brille auf und gucken auf alles, was da ist, mit der Frage, kann ich damit Geld machen? Also kann ich das irgendwie so fassen, dass ich es jemand anders verkaufen kann? Nicht selten geht damit ja auch eine gewisse Form von Exklusion einher: Ich schließe erstmal aus, bis jemand bezahlt und dadurch Zugang gewinnt. Auf der anderen Seite wird ja auch gesagt, durch Privatisierung erst fangen wir an, die Dinge wertzuschätzen. Also weil sie dann uns gehören und wir eben genau mit diesen Gedanken in Zukunft kann ich das vielleicht mehr verkaufen etc. anfangen, uns darum zu kümmern. Wie siehst du das? Das sind ja so zwei unterschiedliche Schulen eigentlich. Wenn etwas umsonst ist und für alle zugänglich ist, dann wird es auch verrotten und keiner kümmert sich. Erst durch die Privatisierung kriegen wir diese Allgemeingüter im Grunde genommen in den Griff. Das ist wahrscheinlich auch nicht schwarz-weiß, sondern …
Katharina Pistor
Ja, ich denke, das ist ja schon Teil dieses Arguments, dass es letztendlich nur um finanzielle Profite geht. Also man könnte ja auch sagen, ein Gemeinschaftsgut hat auch an sich einen eigenen Wert, der sich nicht unbedingt in Geld übersetzen lässt. Der Wert ist, dass alle daran teilhaben können, dass alle das Land irgendwie nutzen können, dass sie nicht ausgeschlossen werden. Und dieser Wert ist halt in den heutigen ökonomischen Kategorien nicht gut fassbar. Und deswegen ist das Argument der Privatisierung, das kennen wir seit den 80er Jahren aus England natürlich, und dann bei den Reformen der sozialistischen Länder muss alles privatisiert werden, damit der Einzelne die Risiken übernimmt, zu investieren, weil er das auch nur tut, um alleine alles abschöpfen zu können, man im finanziellen Mittel dort wieder herausholen kann. Und das Argument im Grunde genommen setzt schon voraus, dass es letztlich um nichts anderes geht als finanzielle Werte. Aber es gibt natürlich auch andere Werte, über die man diskutieren könnte und wo man überlegen könnte, dass ein Gemeinschaftsgut einer Gesellschaft oder einer Gruppe durchaus hilft und nutzbar ist.
Maja Göpel
Hast du konkrete Beispiele? Also Elinor Ostrom hat ja immer ein bisschen die Governance der Commons, andere Prinzipien quasi nach vorne gebracht, wie man das auch organisieren könnte, dass man sich gemeinsam kümmert.
Katharina Pistor
Ja. Ich denke, unser Planet ist vielleicht das beste Beispiel heutzutage: Die Absurdität des Arguments der Privatisierung liegt ja gerade darin, dass wir im Zeitalter des Kapitalismus, wo es ständig um die Einhegung und Zuordnung von Rechten zu Einzelnen geht, letztendlich die schlimmsten Externalitäten, also die schlimmsten Auswirkungen für das Gemeinschaftsgut, das ja immer noch unser Planet ist, geschaffen haben. Dass die Privatisierung nicht dazu geführt hat, wie manche Ökonomen sagen, die Kosten der Nutzung von diesen Gütern zu internalisieren, sie selbst zu tragen. Als Eigentümer habe ich die Gewinne, aber ich muss auch die Kosten davon tragen. Tatsächlich haben die Eigentümer immer versucht, die Kosten der Nutzung von bestimmten Gütern auszulagern, also auf die Gesellschaft zu verteilen. Das gilt für die Umweltverschmutzung, das gilt auch im Finanzbereich für die Instabilität unserer Finanzmärkte. Die Vergesellschaftung der Kosten, aber die Privatisierung der Gewinne ist Teil unseres Systems. Insofern ist das Privatisierungsargument ein halbes Argument, das einfach nicht die ganze Wahrheit offenlegt.
Maja Göpel
Ich habe mal die steile These aufgestellt, dass dieser Mechanismus, das Privatisieren der Gewinne und das Sozialisieren, also auf die Gewellschaft umverteilen der Risiken und dann eben auch Kosten vielleicht das größte vertrauenszerstörende Entwicklungsmodell gerade ist. Würdest du da mitgehen ein Stück weit und vor allem Ideen haben, wie könnte man das zurückführen? Weil eigentlich ist liberal gedacht, ja auch immer sowas wie: Freiheiten gehen mit Verantwortung einher. Das ist ja so ein bisschen den Liberalismus durchgetrennt. Ich nehme das eine, ich nehme die Rechte und ich hole für mich das raus, was ich will. Und ich es kaputt gemacht habe oder wenn das Grundwasser verseucht ist oder das Netz eben nicht mehr instand gehalten wurde, aber ich vorher ganz viel damit verdient habe, das Wasser durchzudrücken und zu verkaufen, dann gebe ich es halt zurück oder ich gehe insolvent. Das sind ja auch so interessante rechtliche Möglichkeiten dann eben in dem Moment Haftung oder Verantwortung für die mittelfristigen Schäden, die auflaufen, lieber woanders zu parken.
Katharina Pistor
Ja, ich denke halt, dass unser Rechtssystem die Mechanismen geschaffen hat, die Haftung und die Verantwortlichkeit der Nutzung von bestimmten Gütern auf andere zu verschieben. Das ist Teil unserer heutigen Privatrechtsordnung. Und eines der besten Beispiele ist natürlich die beschränkte Haftung von Investoren, die in Aktiengesellschaften oder in GmbHs investieren. Weil dort kann ich dann mein Geld abschöpfen, wenn das Unternehmen Profite macht. Aber ich bin nicht dafür verantwortlich, für die Kosten einzustehen, die das Unternehmen für andere schafft, wie zum Beispiel Umweltverschmutzung oder dergleichen. Und wenn diese Kosten zu hoch sind und das Unternehmen in Bankrott geht, dann habe ich ein Problem, weil ich da nicht mehr weiter Gewinne abschöpfen kann. Aber ich muss nie meine eigenen Vermögensgüter anbieten, um für die Kosten einzustehen. Das ist die Idee der beschränkten Haftung und das ist letztendlich eine Lizenz, die Kosten von unternehmerischem Handeln auf andere abzuwälzen und im Prinzip dann auf die allgemeine Gesellschaft. Das war ein Motor natürlich für unsere Industrialisierung. Das ist ein Motor unserer kapitalistischen Wirtschaftsordnung. Aber man muss auch sehen, dass dies rechtliche Mechanismen sind, die letztendlich sowas ähnliches wie Subventionen sind, dass wir Investoren von der Haftung freistellen, die eigentlich andere immer noch übernehmen müssen. Als Hauseigentümer können Sie nicht einfach sagen, ich hafte nicht dafür, wenn jemand vor meiner Tür auf dem Eis ausrutscht oder in vielen anderen Bereichen muss ich für diese Sachen einstehen. Aber was die großen Wirtschaftstransaktionen angeht, gibt es eine Reihe von Mechanismen, um genau diese Haftung einzuschränken und damit haben wir sie letztendlich vergesellschaftet.
Maja Göpel
Müsste man sich nicht aber ein bisschen einschränken, damit ich mich traue. Also wenn ich wirklich ein Unternehmen gründe, dann muss ich ja auch sehr viel vertrauen, dass niemand sonst in meiner Mitarbeiterschaft Mist macht oder eben bestimmte Auflagen umgeht. Also das Lieferkettengesetz ist ja aus meiner Sicht so ein Versuch, zu sagen: Wie kriegt man denn eigentlich Verantwortung für das, was innerhalb des Kosmos dieses sehr groß gewordenen Unternehmen stattfindet, verteilt. Und da wird ja auch gerne gesagt, ja, also wir können das ja nicht bis zum Ende kontrollieren, deshalb geht das Gesetz nicht. Anstatt zu überlegen, ob wir vielleicht die Unternehmungen zu groß werden lassen und zu komplex werden lassen, als dass sie eben genau diesem Anspruch gerecht werden könnten, zu sagen, ich weiß ungefähr, was hier stattfindet und ich kann sagen, dass das nach bestem Wissen und Gewissen ist, ohne dass es immer fehlerfrei ist. Und dann ein bisschen natürlich auch die EigentümerInnen oder die, die das gegründet haben, zu schützen, wenn es tatsächlich andere Personen sind, die das oder den Schaden verursacht haben. Wie findet man eine gute Balance? Ich kann das schon verstehen, warum sollte dann irgendjemand dann gründen, wenn ich sage, ich habe die komplette Verantwortung und alle anderen lassen sich anstellen. Und wenn es dann an die Wand fährt, dann ist das Problem der Gründer und sonst von niemanden.
Katharina Pistor
Das ist wirklich eine Frage der Balance und die kann man anders machen, als wir sie gerade haben. Ich denke zum Beispiel, wir haben halt im 19. Jahrhundert die beschränkte Haftung eingeführt, weil die Idee war, wir haben einen Mangel an Kapital und wir wollen auch kleine Anleger dazu bringen, dass sie ihr Geld nicht nur auf die Bank tun, sondern vielleicht auch in Aktien investieren und deswegen schützen wir sie. Das macht ja durchaus Sinn, aber man könnte sich auch überlegen, wenn die Aktionäre alle gemeinschaftlich haften, dann ist die Haftung auch für jeden einzelnen nicht so übergroß. Und vielleicht würden sich die Investoren dann auch irgendwann überlegen, ob sie vielleicht nicht in Unternehmen investieren, die riesen Haftungsrisiken haben. Jetzt wieder heutzutage mit dem Klimawandel denke ich halt, wissen wir ja, was die größten Unternehmen sind, die am meisten zur Umweltverschmutzung beitragen. Das sind vielleicht die 90 größten Industrieunternehmen, die können wir beim Namen nennen. Wenn die Investoren wüssten, sie müssten die Kosten der Umweltverschmutzung tragen, würden sie das anders bepreisen. Und das ist ja letztendlich der ökonomische Mechanismus, den wir auch haben wollen, dass wir die Investition möglichst rational und möglichst effizient auf verschiedene Güter verteilen. Wenn wir die Kosten vergesellschaften, dann durchbrechen wir eigentlich diesen Mechanismus. Und ich glaube, man könnte dort wirklich einfach Signale setzen, dass man hierfür verantwortlich ist. Es gibt natürlich auch Versicherungsschutz. Es gibt andere rechtliche Mechanismen, in denen man die Risiken verteilen kann auf verschiedene Parteien. Aber ich denke, eins der Charakteristika unserer heutigen Wirtschaftsordnung ist, dass wir in der Regel, also nicht nur im Nachhinein die Kosten vergesellschaften, sondern dass wir von vornherein Mechanismen schaffen, die Rechtsordnung zur Verfügung zu stellen für die, die sie nutzen wollen, um private Reichtümer zu schaffen.
Maja Göpel
Kannst du einmal zwei Beispiele nennen, die das so richtig schön auf den Punkt bringen, wo du sagst, Mensch, da habe ich aber auch gedacht, Leute, jetzt reicht’s.
Katharina Pistor
Ich denke, wenn ich die Rechtsordnung dazu benutze, Vermögens-, also Finanzinstrumente zu schaffen, wie zum Beispiel diese Derivativinstrumente, die letztendlich mit zu der Krise von 2008 beigetragen haben. Also komplexe Finanzinstrumente, komplexe Finanzinstitutionen, die dann in einer Krise auch noch gestützt werden müssen, weil ansonsten unser gesamtes Finanz- und Wirtschaftssystem zusammenbricht. Diese Konstrukte sind, das sind letztendlich rechtliche Konstrukte, die benutzt worden sind, die Regelungen des Bankenwesens zu umgehen. Also möglichst viel Gewinn zu machen, ohne die Kosten der Regulierung tragen zu müssen. Und wenn es dann, also was man eigentlich hätte vorhersehen können, zusammenbricht zu sagen, helft uns, weil sonst bricht das ganze System zusammen. Und das denke ich ist eine Verschiebung von Risiken, die Gesellschaften nicht unbedingt tragen sollten.
Maja Göpel
Too big to fail ist dann ja eigentlich ein Warnsignal. Also es war ja immer dieser Slogan, das ist zu groß, als dass wir es implodieren lassen können, weil es so viele Nebeneffekte in anderen Bereichen dann auslösen wird. Da ist natürlich eine Finanzinstitution immer besonders prädestiniert, weil die überall ihre Finger drin hat und dann eben eins das andere ansteckt. Dann ist das doch eigentlich ein gutes Kriterium zu sagen, nö, also wir wollen die Einheiten nicht so groß werden lassen, dass einzelne eben nicht zur Rechenschaft gezogen werden können, oder?
Katharina Pistor
Ja, aber Größe ist sicher eine Frage. Das andere ist Komplexität. Das Schattenbankenwesen ist ja praktisch ein Versuch auch, ein Bankenwesen außerhalb des regulierten Bankenwesens zu schaffen. Und da kann man so die Größenordnung, die Größe allein nicht mehr als Maßstab nehmen, sondern es ist die Komplexität dieser Transaktion und welche rechtlichen Mechanismen wir letztendlich dann sanktionieren und sagen, die kann man benutzen oder die kann man nicht benutzen. Und die werden auch durchgesetzt, gerichtlich oder die werden nicht gerichtlich durchgesetzt. Das sind wieder gesellschaftspolitische Fragen, die eben oft nicht als solche verstanden werden, weil sie sich anhören wie komplexe juristische Sachen. Das wird so bisschen trocken, darüber kann man keine Politik machen. Aber darin liegen ganz wesentliche Entscheidungen, wie Kosten in Gesellschaften alloziert zugeordnet werden.
Maja Göpel
Oder es ist dann sozialistisch, wenn man über Verstaatlichungen und solche Sachen spricht, aber es ist ja eigentlich ein, wir retten euch mal eben kurz vor der Implosion. Also es ist auch interessant, wie die Framings aufhören. Weil das, was wir immer hören, ist, dass Effizienz so die Berechtigung ist vom Finanzsystem. Dass das wirklich immer sucht, wird da in der bestmöglichen Form mit den Ressourcen umgegangen, die besten Ergebnisse hinzubekommen.
Katharina Pistor
Ja, ganz genau.
Maja Göpel
Das ist so eine Legitimität für die horrenden Gewinne, die da inzwischen abgezogen werden. Ich glaube, das ist auch total wichtig, noch mal zu überlegen, wie konnte das kommen, dass eigentlich diese Konstrukte oder diese Vermittlungsaufträge … Mehr ist es ja nicht. Auch Adam Smith als großer Vordenker hat ja zur Wertschöpfung gesagt: Nee, es gibt bestimmte Tätigkeiten, die sind nicht produktiv, und da gehört Geldleihen dazu. Weil es erst in dem Anwenden tatsächlich Mehrwert schafft. Das heißt, es ist keine produktive Tätigkeit und sollte auch deshalb nicht in der gleichen Form angeschaut werden, sondern es gibt eine Vergütung für diese Dienstleistung mit einer kleinen Risikoprämie. Und jetzt haben wir unfassbare Gewinne. Ich habe jetzt gesehen, ETFs, also wo man am meisten Geld mit verdient, wenn man selber anlegt, ist, wenn man in einen Banken-ETF geht. Also du gehst nicht mal mehr mit deinem Finanzkapital in die reale Wirtschaft, sondern am besten gehst du mit deinem Geld … in die Geldverleiher, dann machst du am meisten. Und dann ist ja irgendwas wirklich komplett entkoppelt, das Finanzsystem vom Realsystem. Und trotzdem reden wir dann irgendwie noch von Effizienz. Du hast gesagt: Nee, also hierarchische juristische Erklärungen, das ist eigentlich besser, zu verstehen, was da stattfindet. Kannst du das nochmal anschaulich machen?
Katharina Pistor
Ja, denke, dass das Effizienzargument einfach abstrahiert von den komplizierten Mechanismen, die ich versuche zu beschreiben. Also ich denke immer, man muss nur diesen Maschinenraum des Systems offen machen und sich genau angucken, was da passiert. Weil um zu diesem Effizienzargument zu kommen, gehen wir erstmal davon aus und das wird dann meistens nicht explizit gesagt, dass es Banken gibt, das sind Aktiengesellschaften, dass es Rechte gibt, es gibt Verträge, dass wir die Verträge oft so behandeln, als wären es Eigentumsrechte, dass wir zugelassen haben, dass man spekulative Verträge auch rechtlich durchsetzt, was früher nicht der Fall gewesen ist. All diese Dinge muss man bedenken und hinzu kommt im Finanzsystem natürlich, alle Finanzprodukte sind ausgedrückt in staatlichen Währungen und sind unverbrüchlich verknüpft mit auch unserem Geldsystem, was wiederum eine soziale Ressource ist. Das heißt, eine der letztendlich einfachsten Art und Weisen, wie man heute Vermögen schaffen kann, ist mit Finanzinstrumenten zu spielen, neue aufzulegen und dann sie zu weit in den Markt zu pushen und Gewinne zu machen, wie es möglich ist und dann versuchen natürlich früher rauszukommen, bevor das System einbricht. Aber der Prozess, diese neuen Instrumente zu schaffen, ist letztendlich ein hoch juristischer Prozess. Den erfinden nicht die Juristen, muss ich dazu sagen, den erfinden schon die Finanzmenschen, die Ideen haben, wie man neue Instrumente schaffen kann, aber die werden rechtlich so codiert, dass sie durchsetzbar sind. Denn ohne diese Durchsetzbarkeit würde niemand das Instrument kaufen. Das heißt, wir schaffen Vermögensgüter aus einer sozialen Ressource, nicht mehr aus unbedingt realer Produktivität, sondern wir codieren neue Ansprüche, neue Ideen in Rechtsansprüche, die dann durchsetzbar sind. Und da obendrauf bauen wir immer mehr. Das sind ja Derivative, die sind jetzt letztendlich auf einem Anspruch, baue ich noch einen obendrauf und mache immer mehr komplexere Systeme. Das ist eine Alchemie, da haben die Leute am früher gedacht, wir müssen Gold erfinden durch alchemische Prozesse. Und heutzutage machen wir das durch rechtliche Kodierung. Schaffen wir genau dies. Und weil das System so wichtig ist für unsere Wirtschaft, weil wir Finanzsysteme brauchen und weil es so komplex ist und die Angst so groß ist, dass wenn es zusammenbricht, unsere gesamte Wirtschaft einbricht, stehen die Zentralbanken und stehen auch oft die Finanzministeriuen bei, zu sagen, wenn es kriselt, kommen wir und helfen. Und damit habe ich ja letztendlich die Idee eines effizienten Wirtschaftssystems von vornherein unterminiert, weil die Risiken, das wissen die Leute, die in den Finanzsystemen unterwegs sind auch genau, die Risiken tragen sie nicht selbst allein.
Maja Göpel
Mhm. Ja, das war ja so die Diskussion, wo ich wirklich dachte, das ist doch eigentlich einleuchtend. Also nach 2008, 2009, wie konnte es eigentlich dazu kommen, dass diese ganzen toxischen Kredite neu verpackt wurden und man sieht sie nicht? Also wenn du gleich noch mal kurz erklären kannst, was sind eigentlich Derivate? Ist ja was total funky, was aus freier Luft erfunden ist. Aber da ging es ja auch darum, wenn es nicht, ich glaube, over the counter, das wird begriffen, also wenn es transparent ist und einer gewissen Idee von Integrität, Rechenschaftspflicht von normalen wirtschaftlichen Verträgen entspricht, dann fällt auch der Rechtsschutz weg. Geht ins Casino, Leute, macht, was ihr wollt, aber wenn ihr euch verzockt, dann ist es auch euer Thema. Und diese Rückkopplung in die Realwirtschaft und die ganze Volkswirtschaften war ja genau das, was man rausnehmen könnte. Entweder ihr spielt zu ganz normalen Standards, wie wir das in der Wirtschaft haben, oder ihr spielt halt außerhalb, aber dann gibt es auch keine Schützenhilfe.
Katharina Pistor
Ja, zum Begriff der Derivate. Ich glaube, schönes Beispiel kann man in dem Film The Big Short sehen, wo ein Koch das ganz gut erklärt, dass er am ersten Tag den Leuten schönes Fischfilet serviert als frisches und wunderbares Menü und am nächsten Tag die Reste von den ganzen Fischen benutzt und eine große Fischsuppe herstellt und sie dann auch wieder verkauft. Das heißt, die Überbleibsel von den Fischen sind dann die Derivate, wenn man so will. Das ist praktisch ein neues Menü, das von dem alten abgeschöpft wird und das man dann auch wieder zum gleichen Preis verkaufen kann. In den Finanzmärkten gibt es halt ganz klassische Waren, das sind einfach Swaps oder Futures. Das heißt, ich kann schon die zukünftigen Ernten kann ich jetzt verkaufen als einen Rechtsanspruch, dass ich den dann dir geben muss. Das ist praktisch schon der derivative Anspruch: Ich verkaufe ja nicht schon wirkliche Güter, die sind ja noch gar nicht da, sondern ich verkaufe Güter, die erst entstehen. Und in der Landwirtschaft gibt es so einfache derivatische seit längerem und die gleichen Mechanismen wiederum kann man in Finanzwesen zu viel, komplexeren Instrumenten auflegen. Aber noch mal zu dem Punkt, wie sollten wir das rechtlich gestalten? Was ganz interessant ist im Common Law, in dem klassischen englischen System, war eigentlich bis in die 90er Jahre immer nicht ganz klar, ob diese Derivate wirklich rechtlich durchsetzbar sind. Die alte Regel war, dass Wages, das sind spekulative Verträge, nicht vor Gericht durchgesetzt werden können. Das heißt, sie sind nicht verboten, sondern diejenigen, die in solche Transaktionen reingehen, tragen dann auch das Risiko dafür, dass möglicherweise ihr Anspruch nicht durchzusetzen ist. Und in den USA ist erst 2000 mit einem Modernisierungsgesetz ganz klargestellt worden, dass Derivate vollrechtlich durchsetzbar sind. Und dann sah man so richtig die Märkte hochgehen darauf, was ein wunderschönes Beispiel ist, um zu sagen, es geht natürlich um die rechtliche Durchsetzbarkeit bei diesen Instrumenten.
Maja Göpel
Ja klar, weil sonst bin ich halt eine Spielernatur und dann bin ich so eine abgesicherte Spielernatur. Ich finde deshalb so wichtig, wenn wir darüber nachdenken, wie reden wir darüber, dann ist ja die Unterscheidung zwischen Wertschöpfung und Wertabschöpfung eigentlich unheimlich wichtig. Also wenn wir uns überlegen Investments, wir reden ja immer noch so, als würde etwas investiert und dann denkt man so bisschen, naja, okay, wird das Geld zur Verfügung gestellt in einen produktiven Prozess und natürlich bekommen diejenigen, die das Finanzkapital gegeben haben, ein Stück davon ab, was da an Mehrwert geschaffen wurde. Aber sie sollten eigentlich auch die Risiken mittragen, wenn was kaputt geht, durch dick und dünn. Das hast du schon erklärt, dass das viel ausgeschlossen wird. Aber die andere Idee ist ja auch, findet, also wenn jetzt zum Beispiel Private Equity und andere in Firmen reinkommen, immer noch unbedingt wirklich Wertschöpfung statt oder ist nicht das primäre Motiv, reinzukommen, diese Wertabschöpfung zu sagen, wie können wir denn aus dieser Einheit von Menschen und Materialien und Infrastruktur und Naturgütern, die damit eingebunden sind, für uns das meiste rausholen. Und müssten wir dann nicht eher von Extraktion statt Investition sprechen und von Wertabschöpfung anstatt, dass man einen Teil der Wertschöpfung mitgebracht hat? Also wo kippt das?
Katharina Pistor
Ja, also ich denke, wir sind heute an einem Punkt, an dem es vor allem um die Wertabschöpfung geht. Und das sieht man gerade bei Private Equity, die ja nicht nur in Unternehmen investieren. Und da gibt es auch schon eine längere Geschichte. Mehr in den USA als in Europa, aber seit den 90er Jahren oder 80er Jahren schon, mit den großen Übernahmem, feindlichen Übernahmen. Da war ja auch meistens zwar das Argument: Wir machen das effizienter. Und tatsächlich ging es vor allem darum, erst mal alles abzuspalten und zu verkaufen, was nicht die gleichen Profite hatte, dass Unternehmen schlanker zu machen, aber eben auch zu versuchen, den neuen Eigentümern so viel wie möglich Geld zu geben, bevor sie das Unternehmen dann wieder auf den Markt gesetzt haben. Und Private Equity macht das heute mit etwas anderen Mechanismen, geht aber nicht nur in Produktionsunternehmen, sie gehen ja auch in den Gesundheitssektor hier in Krankenhäuser, wo dann auch nach ähnlichen Kategorien wieder aufgespalten wird: Hier sind Grundvermögen, hier sind Häuser, hier sind die Ärzte. Alles wird aufgespalten in verschiedene Budgets, die man handhaben kann und man sagen kann, wo kann ich den größten finanziellen Nutzen abschöpfen. Da geht es nicht darum, wie kann ich am besten die Patienten versorgen oder wie kann ich die größte Prävention vielleicht auch vor Krankheiten machen, sondern wie kann ich die die größten Gewinne abschöpfen. Das ist einfach ein Grundgesetz unserer heutigen Wirtschaftsordnung geworden, der viele andere Werte, menschliche Werte und auch Gemeinschaftswerte zurückstellt und unterminiert. Das hast du ja vorhin schon gesagt, das zerstört auch unsere Möglichkeiten, eigentlich gemeinsame Lösungen zu finden, weil wir letztendlich diesem Prinzip ausgesetzt sind, über das wir selbst relativ wenig Kontrolle haben.
Maja Göpel
Warum ist denn das so ansteckend? Weil diesen Effekt, den haben wir jetzt auch in Geflüchteten-Unterkünften, wo berichtet wird, wie sich die ganze Umgangsform verändert und wie eben nicht mehr die Frage ist, kommen wir hier gut miteinander aus, was brauchen die Einzelnen. Sondern wie kann man die Kosten so gering halten wie möglich und eher so eine Versorgung auf einem nicht anzugreifenden Minimum vielleicht hinzubekommen. Wieso ist das so ansteckend? Also was ist denn das? Weil ich glaube, viele, die davon betroffen sind, spüren das ja. Wenn ich mit Erzieherinnen und Erziehern spreche, die sagen: Boah, wir bräuchten eigentlich ein paar mehr Menschen, die bezahlt werden dürfen, damit wir hohe Qualität anbieten können. Das heißt, irgendwann geht ja die Qualität durch diesen Drive auf ökonomische Effizienz runter. Das sehen wir im Bildungssystem, das sehen wir im Gesundheitssystem, das sehen wir tatsächlich auch in anderen sozialen Dienstleistungen, wie auch die Geflüchteten das dann erfahren. Hast du da eine Idee? Ist das dann doch dieser hohe Lupus in uns, oder ist es so attraktiv oder ist es… Ich hab manchmal auch gedacht, was diese Geldausdrucksform eigentlich mit uns macht. Wendell Berry hat das mal als Dichter, Essayist und Landwirt als tyrannesisch beschrieben. Also, dass er gesagt hat, diese degenerativen Bilanzierungen, das ist eine Sprache, die fast keine Bezeichnungskraft mehr hat, weil sie bewusst dafür benutzt wird, sich auf nichts Spezielles zu beziehen. Und die ganze Aufmerksamkeit richtet sich dann nur auf Prozentanteile, Kategorien, abstrakte Funktionen und wird damit aus dem gemeinsamen Boden menschlicher Erfahrung, Erinnerungen und des Verstehens sprachlich entzogen. Und das hat er als tyrannesisch beschrieben. Mir leuchtet das zum Teil total ein, weil es dann so einfach ist, wenn man nur Zahlen hin und her schiebt und dass so deine Referenz, dein Purpose ist, die nach oben zu schieben …Ist das eine der Erklärungen, warum das so ein Trend ist? Weil, er beschreibt sich ja fort.
Katharina Pistor
Ja, also ich denke, man kann es in der Sprache wiederfinden und die Sprache selbst verändert natürlich auch. Ich denke, es hat viel mit einer veränderten Wertordnung zu tun. Ich finde es irgendwie auch schwer zu erklären, aber es ist auch ein interessanter Prozess, wie praktisch nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges, wo glaube ich vielen viel klarer war, dass es eigentlich um andere Sachen gehen muss, dass es darum gehen muss, irgendwie den Menschen und die Gemeinschaft in den Mittelpunkt zu stellen und nicht nur das Ego des Einzelnen, das Gewinnstreben des Einzelnen. Deswegen haben wir in Deutschland ja auch eine soziale Marktordnung geschaffen im Grundgesetz, ganz bewusst. Deswegen steht die Menschenwürde ganz vorne im Grundgesetz und nicht das Eigentum. Das kommt erst in Artikel 14. Also es ist ja interessant, wenn wir uns anschauen, dass wir versucht haben, mit gängigen institutionellen Mechanismen eine andere Wertordnung zu schaffen. Aber diese Wertordnung ist uns teilweise abhandengekommen. Und da muss man natürlichj überlegen, wie passiert das? Und das sind zum Teil natürlich Ideologien, das sind zum Teil aber auch dann Mechanismen, die aufgrund neuer politischer Entscheidungen geschaffen werden. Das heißt, ein globales, kompetitives Finanzsystem. Das wird natürlich ähnliche Mechanismen dort installieren, wo es vorher nicht möglich gewesen ist, wenn die Märkte sich öffnen, um dort dann mit gleichen Mechanismen vorzugehen und Sachen umzusetzen. Also ich glaube, dass die Öffnung der Finanzmärkte seit den 70er-Jahren und die Globalisierung der Finanzmärkte ganz wesentlich dazu beigetragen haben, dass unsere Ideen über das, was wichtig ist und unsere Möglichkeiten, das zu kontrollieren was wichtig ist in den Hintergrund getreten sind, weil die Märkte und der Gewinnabschöpfung und die Bilanzierung letztendlich die neue Regelungsordnung geworden ist, die politisch gerechtfertigt wird. Die Politiker sprechen ja auch fast nur noch von Effizienz. Das ist ja auch ein komplexer, ein komischer Begriff, weil sie natürlich auch nicht über Pareto, also wirklich technische Begriffe reden, sondern das, was letztendlich am meisten Gewinn bringt, das meinen sie mit Effizienz. Der Begriff ist so vergesellschaftet worden in der Art und Weise, dass man ihn benutzen kann, um andere Werte wie Gerechtigkeit oder auch gemeinschaftliche Möglichkeiten dahinter zu verstecken.
Maja Göpel
Wir kommen ja so bisschen dahin langsam zu merken, dass vielleicht Resilienz ein anderes wichtiges Phänomen ist. Also weil die Effizienz ja auch dazu führt, wenn ich alles wirklich so auf Kante nähe, damit ich möglichst wenig Aufwand betreiben muss, möglichst wenig im Lager liegen haben muss. So dieses Just-in-Time-Liefern gehört ja dann auch dazu, oder das Personal nur noch mit Zeitarbeit aufstocken lassen, wenn die Kita-Betreuerinnen dokumentiert haben, bis um 10 Uhr, dass wirklich der Betreuungsschlüssel in der ganzen Institution darunter gefallen ist und dann dürfen sie jemanden anfordern, die sind dann um 12 Uhr da, und dann gehen die ersten Mittagskinder nach Hause. Mit dieser ganzen Logik hab ich nicht ausreichend Puffer und Möglichkeiten, mich auf Krisen und vielleicht Schocks oder Versorgungsunsicherheiten vorzubereiten. Ist das eine Chance, dass wir gemerkt haben, wir haben es da ein bisschen übertrieben, dass man aus dieser Resilienzperspektive heraus sagt: Mensch, was sind denn eigentlich vielleicht auch Reservoirs oder andere Formen des Miteinander-Umgehens? Unter Corona haben wir ja gesehen, dass in Regionen, wo besonders viel Vertrauen ist beispielsweise, hat die Kooperation gut funktioniert. Damit waren die Schäden deutlich geringer, weil Menschen aufeinander Rücksicht genommen haben. Man kann sogar sagen, der ökonomische Effekt ist besser, wenn andere Werte auch noch mitschwingen. Wenn wir so ein bisschen überlegen, wo ist die Krisenhaftigkeit so bewusst geworden, können wir daraus überlegen, wie man das nach vorne bringen kann, oder weiter normalisieren kann, dass wir wieder so drüber nachdenken und vor allem, dass auch so eine Rechtfertigung rauskommt? Das können wir uns nicht leisten. Also das ist ja ineffizient, das ist ja Schwund, den ihr da mit einplant und solche Dinge. Also das ist ja irre, wie doll man sich rechtfertigen muss dafür.
Katharina Pistor
Ja, also ich glaube, wir kommen wieder auf das Thema der Werte. Worum geht es eigentlich wirklich in unseren Gesellschaften? Geht es wirklich nur um Gewinnstreben, oder geht es um andere Sachen? Und ich glaube, dass da ein Umschwenken stattgefunden hat. Diese Corona-Zeit ist ein bisschen ambivalent. So habe ich das empfunden, dass viele Menschen… Also in der Zeit habe ich auch gedacht, jetzt kommt ein Umbruch. Jetzt haben wir praktisch die ganzen Gesundheitsarbeiter. Was waren damals die essentiellen Arbeitnehmer, die uns durch diese Phase durchgeführt und geholfen haben? Das waren natürlich die Menschen im Gesundheitswesen, in den Altersheimen, die uns die Sachen nach Hause gebracht haben, die ganzen Delivery-Leute oder so. Die waren alle essentiell auf einmal und wurden gefeiert. Aber das ist ganz schnell danach verschwunden. Und das fand ich eigentlich unglaublich erschreckend, weil ich dachte, das ist so der Moment zu sagen, wir müssen irgendwie zusammenarbeiten, und uns auch überlegen, wie wir die wertschätzen, auch letztendlich durch Bezahlung wertschätzen diese Menschen. Und das ist letztendlich nicht passiert. Also der zweite Schritt ist nicht passiert, sondern als Corona vorbei war, war wieder Business as usual. Und eine wirkliche Aufwertung dieser Arbeitnehmer ist nicht erfolgt. Es gab natürlich dann Diskussionen, als viele nicht in ihre Arbeitsplätze zurückgegangen sind ein bisschen. Aber normativ hat sich nicht so viel verändert durch Corona. Zum Teil auch wegen der Aversion gegen diese ganze Zeit, denke ich. Aber das ist ein anderes Thema vielleicht. Nichtsdestotrotz sehe ich eigentlich in vielen Gesprächen, sowohl in Europa als auch hier, dass Leute nach neuen Formen des Miteinanders suchen, auch nach neuen Rechtsformen oder nach alten Rechtsformen. Also Ideen, wie die kooperative Stadt einer Aktiengesellschaft oder andere neue Unternehmensformen, die man selbst gestalten kann, wo es eine demokratischere Verfassung auch der Firmen zum Beispiel gibt, werden diskutiert, werden auch aufgebaut und gemacht. Meistens im kleineren Bereich, nicht im größeren. Der Punktus knaktus bei all diesen Sachen ist immer das Geld. Wo kriege ich das Geld her, solche Unternehmen auch zu finanzieren? Und solange ich in der Finanzwirtschaft solche Gewinne einheimsen kann, indem ich einfach noch wieder neue Finanzinstrumente, neue Finanzen intermediäre erfinde, die eine Weile ganz gut funktionieren, ist einfach die Idee, dass man vielleicht in was investiert, was einfach nur ein “nur” einen guten Zweck hat und vielleicht wirklich auch was aufbaut, für Menschen was aufbaut, ist Finanzieren alleine nicht genug. Da müssen wir, glaube ich, auch darüber nachdenken, wie man solche Finanzintermediäre schafft, zum Teil öffentliche vielleicht, zum Teil auch wieder die kooperativen Finanzinstitutionen, die wir im 19. Jahrhundert gerade in Deutschland viele von hatten, dass man dafür Voraussetzungen schafft, dass es die gibt und dass die auch nicht unbedingt im Wettbewerb mit den großen Institutionen mithalten können. Das können sie natürlich nicht. Aber dass es für sie Bereiche gibt und vielleicht auch Anreize gibt, in Nischen zu investieren, wo sowas passiert, wo es um andere Werte geht, nicht nur um die Profitabschöpfung.
Maja Göpel
Da gibt es ja schöne Beispiele, also Genossenschafts-Bankensysteme, Raiffeisen und so sind ja aus so einer Motivation heraus auch entstanden, zu überlegen: Ich habe doch da eine Leerstelle. Also kommt mir so der Begriff der Sozialinnovation mit rein und dann ja die Suche, also was du beschreibst, ja so richtig: Was möchte ich erreichen, was ist so das übergeordnete Ziel, an dem ich mich orientiere und wie ich Erfolg definiere? Und viel Sozialinnovatives sagt ja, wo ist eigentlich eine Leerstelle, wo dieses normale, verwertende gar nicht hinkommt, aber wir genau wissen, da sind dringende Bedürfnisse. Und bei Raiffeisenbanken war es ja viel mit, wie kriegen wir für alle Personen eigentlich so was wie ein Konto überhaupt angeboten, damit ich eine Akteurin auch werden kann in diesem Bereich. Und das heißt, dann wäre ja genau dieses Verständnis dafür, wir können Rechtsformen neu codieren, etc. unheimlich wichtig, um rauszukommen aus diesem Gefühl von, es ist halt nicht möglich. Oder eben auch diejenigen mal so bisschen anzupieken, die halt behaupten, ja, würde ich ja machen, aber geht nicht. Also die Debatte in Deutschland war super spannend über diese neue Rechtsform, Verantwortungseigentum wird es ja genannt. Und es ging wirklich ja nur darum zu sagen: Lasst uns diese neue Rechtsform normal machen, als einfach eine Option, dass Mitarbeiterinnen im Grunde genommen dann eben auch das Unternehmensvermögen weitertragen können. Weil momentan ja immer das riesige Argument ist, nein, ihr könnt die Erbschaftssteuer auf keinen Fall durchziehen, weil dann knallt das Unternehmen ja zusammen. Und damit hätte man eben die Möglichkeit zu sagen, nein, also eine lukrative Institution, die produktiv tätig ist, wird von vielen getragen und kann sich auch weitertragen. Ich kann das Privatvermögen tatsächlich von dem Unternehmensvermögen relativ lässig trennen. Und es ging nicht darum, die anderen Formen abzuschaffen. Es ging nur darum, das als normale Kategorie danebenzustellen. Es wurde so bekämpft. Da hab ich gedacht: Das ist ja schon ein bisschen borniert. Hat das nur noch was damit zu tun, dass ich dann mit meinen eigenen Werten konfrontiert bin oder gefragt werde, warum ich das extraktive Modell für mich trotzdem weiter präferiere?
Katharina Pistor
Ja, das sehe ich ganz genauso. Ich war auch in vielen Gesprächen über diese neue Unternehmensform mit drin. Die gibt es auch in anderen Ländern, aber in Deutschland eben das Unternehmen mit gebundenem Vermögen oder Verantwortungseigentum. Dann kam natürlich das Argument, wir sind ja auch verantwortlich, auch wenn wir keine Verantwortungseigentumsform nehmen. Das absurde in der Tat war, dass es ja nur eine weitere Option war. Niemand wurde gezwungen, diese Unternehmensform anzunehmen. Daran zeigt sich, glaube ich, wie viel Ideologie dabei ist, wie viel Angst da ist, eine solche Unternehmensform zu bekämpfen oder sie nicht umsetzen zu wollen, weil vielleicht dann auch wirklich mal gezeigt werden könnte, wir können das auch alles ganz anders machen, es muss nicht nur so gehen. Damit stellt man wirklich grundsätzlich in Frage, dass es nur eine Lösung gibt. Es gibt keine Alternative, das sind ja immer die Sprichworte, die viele von unseren Politikern auch verwandt haben. Es gibt Alternativen. Und es gibt auch jede Menge Unternehmen, die sowas gestrickt haben, ohne dass diese Form als Gesetz in Kraft getreten ist bisher, aber vielleicht passiert es in der nächsten Legislaturperiode, wer weiß. Aber man kann solche Formen schaffen. Es gibt solche Unternehmen und die sind eigentlich lebende Beispiele dafür, dass man Sachen anders machen kann. Auch dafür, dass es Unternehmer gibt, die irgendwie einen Wertekatalog haben, der sagt: Ja, ich möchte natürlich von dem Unternehmen auch leben, möchte auch Geld damit machen, aber mir geht es eigentlich darum, dass die Idee des Unternehmens, was wir hier geschaffen haben, was wir aufgebaut haben zusammen, die Produkte, die wir gemacht haben, die Märkte, die wir eröffnet haben, dass die weitergeführt werden. Es geht nicht nur um die Zahlen, die ich dort abschöpfe in Buchgeld, dass ich auf irgendeinem Konto habe und dann irgendjemanden vererben kann.
Maja Göpel
Damit sind wir voll im Vermögensbegriff. Also was ist denn eigentlich Kapital oder Vermögen, wo wir sagen, das hat einen Nutzwert an sich? Und da finde ich das so spannend, denn die Ökonomie unterscheidet ja unterschiedliche Kapitalformen, also Naturkapital oder Soziales Kapital oder Humankapital, oder eben auch Maschinenparks, also Geschaffenes. Und wenn man sich das anguckt, hat alles einen Wert in sich, wenn es intakt ist, wenn es eine hohe Qualität hat. Das Einzige, was keinen Wert in sich hat, ist ja das Finanzkapital. Und das Einzige, was endlos wachsen kann, ist eigentlich auch das Finanzkapital. Während die anderen, würde ich sagen irgendwann… der Planet ist halt begrenzt, da können wir nicht einfach behaupten, dass alles immer mehr wird. Wir sollten viel mehr überlegen, wie können wir das Vermögen wieder aufbauen? Also wie kann das Finanzkapital von dem wir ja viel zu viel haben… Das wissen, glaube ich, halt auch die wenigsten. Es heißt ja immer: Nee, das Geld haben wir nicht. Na ja. Es hat sich multipliziert. Es findet nur nicht eine Verwendung in den Bereichen, wo wir das eigentliche Vermögen wieder aufbauten, selbst wenn das Versorgungssicherheit bietet. Also, ordentlich Geld da rein versenken, Menschen dafür zu kompensieren, Naturkapital wieder aufzubauen. Beispiel, Payments for Ecosystem Services ist ja sogar ein Instrument, was dafür schon in Costa Rica und anderen Gegenden eben aufgebaut wurde, primär staatlich aber wieder finanziert wird. Wieso ist das so schwer? Erstens, wie kann dieser Mythos aufrechterhalten werden, wir haben kein Geld, wenn wir wirklich so viel unterwegs haben? Und was ist die Einladung, die wir aussprechen müssen? Oder eben vielleicht auch einfach regulatorisch zu sagen, jetzt geht es darum, die realen Vermögenswerte wieder aufzubauen, anstatt dass wir nur noch Bilanzvermögen horten. Und das sind ja jetzt auch McKinsey und andere, die inzwischen sagen, Leute, wir haben ein Problem. Also Problem with the global balance sheet, gab es ja Reports. Weil wir viel von dem Vermögensaufbau nur noch durch Asset Inflation gewinnen. Also wenn ein real bestehender Wert, ein Gebäude etc. durch den Tauschwert, also die Begehrlichkeit für andere, immer mehr im Buch wert wird, aber ja eigentlich nichts zugewonnen wurde durch die Verwendung des Geldes. Und das ist ja eine unheimliche Verschwendung von einer sozialen Technologie, die sich Menschen ausgedacht haben, um Kredit in die Welt zu bringen, um Kooperation zu ermöglichen, um über Zeiträume hinweg Dinge in die Welt bringen zu können. Also es sollte ja eigentlich ein Beschleunigungsinstrument und Unterstützungsinstrument für das reale Wertschöpfen und den Vermögensaufbau von Dingen, die wir wirklich brauchen, sein. Was sind so paar Vorschläge, wo du sagst, da, finde ich, ist diese Logik schon ganz gut geflossen? Und wie könnten wir darüber mehr reden und dass Menschen das auch verstehen? Auch welche, die viel Finanzkapital vielleicht haben. Warum insgesamt Gesellschaften und die Versorgungssicherheit natürlich stabiler werden, wenn wir gewillt sind, realen Vermögensaufbau vielleicht wieder bisschen mehr zu thematisieren und nicht nur meinen Kontostand.
Katharina Pistor
Also ich glaube, es gibt da zwei Seiten der Medaille mindestens, wahrscheinlich sogar mehr als das. Auf der einen Seite eben das Bewusstsein derjenigen, die Geld haben dafür, dass man das Geld in andere Sachen stecken kann und vielleicht auch erfahren kann, dass es wesentlich bereichernder ist, auch persönlich für die bereichernder sein könnte. Wenn sie sehen, dass ein Unternehmen blüht oder dass Leute auf einmal, weiß nicht, Häuser bauen oder eine Unterkunft haben, die sie vorher nicht gehabt haben, wenn man dort reinsteckt, das ist ja auch ein Wert, den man mitnimmt. Und die ganzen Buchgelder kann man auch nicht mit ins Grab nehmen, aber diesen Wert, den schon. Also das ist die eine Seite, auch da Bewusstsein zu schaffen, dass es diese Möglichkeiten gibt. Daraus ergibt sich natürlich dann auch die Frage: Wie macht man das? Es gibt natürlich einen großen Bereich der Philanthropie, nicht nur in den USA, sondern auch anderswo. Das ist auch viel Macht mit verbunden. Also man muss ein bisschen kritisch drauf gucken. Aber es gibt natürlich Möglichkeiten durch Steueranreize oder durch politische Maßnahmen solche Sachen zu schaffen. Die andere Sache, die ich denke, dass wir auch ein politisches Problem haben, wie wir mit unserem Geld umgehen. Denn diese ganzen privaten Vermögenswerte würden nicht geschaffen werden, wenn nicht die öffentliche Hand letztendlich dahinter stehen würde. Die privaten Vermögenswerte, die krachen zusammen in Zeiten von Krisen. Das hätte 2008 wirklich zu einem riesen Debakel führen können, so wie es in 30er Jahren auch passiert ist. Die Tatsache, dass das nicht passiert ist, ist, dass letztendlich die Zentralbanken, die wichtigsten Zentralbanken der Welt, eingeschritten sind und das System gestützt haben. Das ist ein öffentliches Anbieten von Liquidität in Zeiten, wo den Privaten die Liquidität ausgeht, das heißt, ihre Vermögenswerte nicht mehr verkauft werden können, sie können sie deswegen nicht mehr ummünzen, aber sie wollen sie alle in Krisenzeiten in Geld ummünzen. Warum? Weil staatliches Geld nicht seinen nominalen Wert verliert. Kann seinen realen Wert verlieren, das kennen wir in Zeiten der Inflation. Aber staatliches Geld ist immer 1 Euro, 1 Euro, 1 Euro, 1 Dollar, 1 Dollar, 1 Dollar, jede Aktie geht rauf und runter und das messen wir dann in Dollern oder in Euro. Das heißt, in Zeiten von Krisen wollen wir alle den Staat, auch das Finanzwesen. Und der Staat springt ein, aber zieht dann das Finanzwesen nicht in die Verantwortung zu sagen, wir haben euch da rausgeholt, wir müssen das System anders aufziehen. Ich glaube, wenn wir da nicht rankommen, letztendlich zu sagen, wir dürfen den Privaten nicht so viel Gestaltungsspielraum einräumen in einem System, das hoch riskant ist, das unglaublich viel Vermögen schaffen kann, aber dieses Vermögen wird nicht eingesetzt und wird letztendlich für ihre eigenen Reichtümer und Vermögen verbucht, anstatt sich zu überlegen, wie kann eigentlich das Geldwesen aufgezogen werden, um sicherzustellen, dass es auch sozialpflichtig ist und nicht nur privat bereichernd.
Maja Göpel
Hast du da ein paar Beispiele, wo du sagst, da wurde das schon weit gedacht oder in Ansätzen durchgesetzt oder auch historisch gibt es da ja manchmal interessante Referenzen? Auch dass sie rauskommen und sie sagen, das ist aber utopisch, das ist nie passiert. Da gibt es ja meistens irgendeinen historischen Fall, wo man sagen kann: Ach, kommt Leute!
Katharina Pistor
Also erstmal ist natürlich Covid oder die Corona-Zeit ein gutes Beispiel, wo auf einmal das Geld da war, auch für andere, nicht nur für das Finanzwesen. Das heißt, das Geld zu schaffen, Geld zu mobilisieren, ist dann letztendlich eine Frage des politischen Willens und sich dann noch zu überlegen, natürlich, wie man es managt danach. Man kann ein System schaffen, in dem jedenfalls in Krisenzeiten alle eine Unterstützung finden. Das könnte man heute auch technologisch anders aufziehen, als wir es bisher gemacht haben. Was ja auch interessant war, dass wir gesehen haben in der Corona-Zeit, wie schwer es zum Teil war, die Ärmsten zu erreichen. Für einen Staat, eigentlich sagen wollte, wir geben euch jetzt was. Durch welche Mechanismen kommt man eigentlich an das Geld ran. Hierzulande ging es eigentlich nur entweder über die Steuerbehörde oder über Banken. Keine anderen Möglichkeiten, letztendlich an Haushalte zu kommen. Das heißt, diejenigen, die kein Konto haben oder diejenigen, die so arm sind, dass sie keine Steuern zahlen, an die komme ich gar nicht ran, denen kann ich gar nicht mehr helfen. Und da könnte man sich natürlich überlegen, so was wie über die digitalen Währungen, dass die Zentralbanken auch den einzelnen Möglichkeiten geben würden, an Geld ranzukommen. Dass man das eben nicht nur über die privaten Intermediäre macht, die natürlich dann immer wieder weitere Profite abschöpfen wollen. Da wollen die Zentralbanken nicht ran, weil sie erstens das Bankenwesen nicht destabilisieren wollen, indem sie sagen, wir könnten eigentlich heutzutage aufgrund neuer Technologien fast ohne Intermediäre. Da wollen sie auch nicht ran, weil sie selbst nicht ins Kreditwesen rein wollen, selbst nicht in die Verteilungsfrage rein wollen. Wer kriegt denn eigentlich die Gelder und zu welchen Bedingungen? Aber da ließen sich sicher über neue Mischformen Gedanken machen. Und dann auf der unteren Ebene gibt es natürlich sowohl historisch als auch heute noch vergleichend viele Beispiele, wie Geld anders aufgezogen werden kann. Also wie man praktisch ein Gemeinschaftsgeld macht, das vor allem zirkulieren soll, das nicht gehortet werden soll, sondern zirkulieren soll. Klassisches Beispiel damals von Gesell, der sagte, das muss halt, es muss was kosten, wenn ich es festhalte. Es verliert einen Wert, wenn ich es festhalte und soll halt im Umlauf sein. Da gibt es historische Beispiele, in kleinen Gesellschaften, wo Geld wirklich als Umlaufmittel die ganze Zeit benutzt wird, Armut geringer ist als anderswo, wo es gehortet wird und dann als Kredit vergeben wird, damit derjenige, der der Gläubiger ist, auch weiter Geld machen kann. Wie weit sich solche Systeme generalisieren lassen und auf unsere komplexen Systeme übertragen lassen, ist letztendlich eine offene Frage. Ich glaube, da muss man sich dann auch zugestehen, da haben wir keine klaren Beispiele. Aber ich glaube, das ist eine der ganz zentralen Aufgaben, über die wir uns Gedanken machen müssen, wie wir unsere Geldsysteme aufziehen und wem wir sie zur Verfügung stellen und zu welchen Zwecken. Das sind politische Entscheidungen, das sind nicht nur ökonomische Entscheidungen.
Maja Göpel
Ja und wenn wir jetzt so an die Krisenhaftigkeit denken, dann ist ja diese Idee von geteilter, aber differenzierter Verantwortung auch ein ganz gut im internationalen Rechtssystem etabliertes Prinzip. Wenn man wirklich sagt, man ist eine Schicksalsgemeinschaft, welche Schultern können auch was tragen? Welche haben vielleicht auch aus einem vergangenen System ganz viel profitiert? Das kenne ich aus der Klimagerechtigkeitsthematik. Wir sind erst durch das Verbrennen der fossilen Rohstoffe so reich geworden, dann sollten wir jetzt auch mehr dazu beitragen, da rauszukommen aus dem System. Das könnte man ja ähnlich… Also du arbeitest ja auch zu Umverteilung oder Verteilung. Also, weil wir müssen ja immer quasi rechtfertigen, dass wieder etwas weggenommen wird. Aber man könnte ja auch die Frage stellen, gerade wenn das immer so intransparent passiert, wie sind wir eigentlich da gelandet, dass es so einen automatischen Trickle-Up-Effekt gibt für Finanzkapital so? Der Teufel scheißt immer auf den größten Haufen, ist jetzt so ein recht gängiges Matthäusprinzip. Aber es ist auch kein Naturgesetz, sondern da haben sich ja Menschen eingemischt. Und deshalb, wie kann man darüber eben gerade heute diskutieren, um diese Angst davor zurückzufallen, an das zu verteilen? Und ich denke dann immer, warum ist Vermögen so eine Geldanhäufe? Und warum sprechen wir nicht über Vermögen als ein Verb? Ich vermag, etwas beizutragen.
Katharina Pistor
Ja, genau.
Maja Göpel
Und wenn es Geld ist, ist es Geld. Wenn ich Arbeitskraft habe, ist es Arbeitskraft. Wenn ich Intelligenz habe, um neue Rechtsformen zu finden, mit denen das gut zusammenfindet… Also was wären denn so ein paar Instrumente, wo man wirklich sagt, wie könnten wir geteilte, aber differenzierte Verantwortung durchsetzen oder eben leben? Also Erbschaftssteuer müsste dann mal Chancengerechtigkeitssteuer heißen, zum Beispiel. Hast du noch ein paar andere Instrumente, wo du sagst, Mensch, damit würden wir es wirklich schaffen, diese realen Vermögen wieder zu stabilisieren? Also da geht es ja tatsächlich Humankapital, auch Chancengerechtigkeit, soziales Kapital, was wieder anwachsen wird, wenn die Chancengerechtigkeit und Bildungszugang etc. eben möglich werden.
Katharina Pistor
Ich glaube, man könnte eine ganze Reihe von Institutionen aufzeigen. Man kann zum Beispiel auch daran denken, jedem neugeborenen Kind gibt man ein gewisses Vermögen mit auf den Weg, damit es was gestalten kann. Das macht man natürlich auch wieder in Geld, aber das ist wahrscheinlich die einfachste Art und Weise, dass es dort schon von vornherein eine größere Chancengleichheit gibt. Ich stimme dir auch vollommen zu, dass wir weg müssen von der Diskussion, dass es nur um die Umverteilung geht. Deswegen glaube ich auch nicht, dass wir unsere sozialen Probleme allein durch Steuern lösen können. Es ist immer eine Diskussion, die ich mit Piketty und dem Lage habe, die halt denken, dass es das Hauptinstrument ist. Ich glaube, dass wir es schon brauchen, weil die Ungleichheit so groß ist, aber wir können letztendlich nicht erst so tun, als wäre das alles natürlich geschaffen, diese Reichtümer, und dann nehmen wir es ihnen weg. Sondern ich glaube, man muss ganz klar auch darstellen, und das habe ich versucht, ein bisschen in dem “Code des Kapitals” zu tun, dass die Vermögenswerte geschaffen werden mithilfe von sozialen Institutionen. Das ist das Rechtssystem, das ist unser Geldsystem. Und wenn diese Rechtssysteme und diese Geldsysteme systematisch einige bevorzugen und alle anderen letztendlich ins Hintertreffen kommen, das geht ja wirklich um die ein Prozent und den Rest, da muss man überlegen, da stimmt was in der Grundstruktur unserer Gesellschaft nicht, wie wir solche Verteilungen aufsetzen. Es gibt in unserer Rechtsordnung schon sehr viele Sachen, wir haben über Genossenschaften geredet, es gibt auch die Möglichkeiten heute auch eine GmbH ganz anders aufzuziehen und diese Werte einzubauen. Letztendlich glaube ich, geht es dann doch letztendlich wieder um Werte. Also die technischen Mechanismen, kann man erfinden, die gibt es aber auch schon. Man muss nur wissen, wie man sie einsetzt, weil wenn man sich darüber nicht klar ist, dass es um andere Werte geht, dann kann man auch jede neue Institution korrumpieren. Man kann sie alle wieder verdrehen und was anderes ausmachen. Ich hatte einen ehemaligen Schüler online, etwa vor ein, zwei Jahren oder so, der sagte, er ist drauf gekommen – er macht Arbeit beim großen Consulting-Unternehmen – wie man eine Kooperative einsetzen kann, um Steuern zu sparen. Darum geht es eigentlich nicht, bei der Genossenschaft Steuern zu sparen. Eigentlich geht es um etwas ganz anderes. Aber wenn ich das jetzt wieder als Instrument benutze, um irgendwelche Umgehungsmechanismen zu machen, um irgendwelche Arbitrage zu machen, dann zerstöre ich auch dieses Instrument irgendwann. Ich denke, dass wir deswegen das verbinden müssen, dass wir deswegen finde ich im Grunde genommen auch bei dem Unternehmen das Verantwortungseigentum eigentlich einen guten Begriff. Und nicht nur abstrakt mit gebundenem Vermögen, sondern es ist das Verantwortungseigentum: Wir schaffen hier Verantwortlichkeiten für etwas anderes und dass wir das auch normativ so begründen, dass es dafür ist, nicht für etwas anderes. Diese Verbindung zwischen dem, was wir schaffen an Institutionen, rechtlichen Institutionen, Finanzmechanismen und dem, was wir gesellschaftspolitisch erreichen wollen, auch gemeinschaftlich erreichen wollen, ist essenziell. Sonst kommen wir aus dem System nicht raus, weil sich jeder Mechanismus wieder umdrehen lässt.
Maja Göpel
Also den Punkt halte ich für total wichtig, weil wenn man sich so die Debatte anhört und im Grunde genommen so Protagonisten oder Verteidiger, sind häufig Männer tatsächlich, des extraktiven Umgehens und das sich nur auf sich selbst und seinen Return on Invest fokussieren, die kommen immer so die Ecke mit dem Moralisieren und mit dem “Jetzt wollt ihr uns da irgendwie einschränken”. Und dabei ist doch die große Errungenschaft von Märkten gewesen, dass man das Moralische endlich draußen hat und die Knappheiten im Grunde genommen zu einer Verteilungslogik führen, die eh die Beste ist. Und jetzt kommt ihr mit eurer Moral und mit dem Ethischen da drum. Und eigentlich ist es ja so wichtig zu verstehen, dass ohne das Ethische das Kontrollierende so wahnsinnig anziehen müsste. Also wenn ich immer versuche, das Maximale rauszuholen, was nicht total verboten ist, was ja leider so eine gewisse Entwicklung ist. Du wirst ja schon als dusselig bezeichnet, wenn du noch normal Steuern bezahlst. Und wenn man das in den normalen Alltagssprech und in die mediale Berichterstattung übernimmt, dass man eigentlich ja dumm ist, wenn man nicht für sich das maximal rausholt oder Steuerberatungsfirmen genau darauf ausgelegt sind, sozusagen, also wir sorgen dafür, dass ihr so wenig wie möglich abgeben müsst, dann ist ja dieser ganze soziale Kontrakt eigentlich gebrochen. Dass ich ja innerhalb von bestimmten Leistungen, die ich auch nur durch Steuerzahlung aus einer öffentlichen Hand gewinnen kann, erst das Geld beispielsweise gemacht habe. Und letzter Punkt, dass wir natürlich gar nicht wollen, dass man diese maximale Mikrokontrolle bei allen braucht, weil man sich überhaupt nicht mehr darauf verlassen kann, dass man sich so ein bisschen an diesen sozialen Kontrakt hält. Also Anstand ist ja eine befreiende Größe und anständige Kauffrau, anständiger Kaufmann war ja deshalb auch immer sowas tief Konservatives, was im Grunde genommen auch ein Versprechen abgegeben hat. Das finde ich super relevant, zu sagen, wir werden nie alles mit Rechts-Codierung hinbekommen und jede Rechts-Codierung ist in sich aber auch ein Auslegen der Normen und der Umgangsformen unserer Zeit. Und dann können wir einfach sagen, wir wollen jetzt wieder bitte in die Richtung, dass es freier wird und dass es sicherer wird und dass es inklusiver wird, weil die Wohlstandsforschung dann ja auch ziemlich klar ist dahin, dass es dann tatsächlich näher an diese soziale Marktwirtschaft ranrückt, die wir immer hochhalten.
Katharina Pistor
Und die soziale Marktwirtschaft ist ein normatives Prinzip. Das geht nicht nur um Märkte und Effizienz und Allokation. Und ich denke, ich sage immer, die Märkte sind eigentlich dumm. Die Märkte können nur eines: Preis rauf, Preis runter. Die sind total binär. Aber in unserem normalen Leben geht es um viel, viel mehr Dinge und in unseren Gesellschaften geht es viel mehr Dinge. Und ich glaube, da sind zwei Sachen wichtig. Das eine ist, dass man einfach von diesem individuellen Horten wegkommt: Ich möchte so viel haben, wie ich kann. Und ich habe auch das Recht, das zu tun, weil man ja auch sagt, Eigentumsrechte und Persönlichkeitsrechte und die freie Entfaltung… Die Kombination davon hat dazu geführt, dass eine unglaubliche private Macht aufgebaut worden ist in unserem System, wo einige private über andere eine Macht ausüben, gegen die diese anderen sich nicht wehren können, die wir auf der öffentlichen Seite nie zulassen würden. Wir würden nie zulassen, dass wir ohne Verantwortung gegenüber den staatlichen Stellen einfach so was tun müssten. Wir haben ja gerade wieder autokratische Bewegungen, aber wir kämpfen dagegen. Im privaten Bereich ist es das normale. Wir sind Arbeitnehmer und haben vielleicht bestimmte Rechte, aber wir sind letztendlich einem Diktat unterworfen. Und in den Märkten sind diejenigen, die weniger haben, auch Diktaten unterworfen. Das sind halt nicht diejenigen, die den Preis machen, sondern die den Preis nur annehmen müssen, so wie er ist. Die Idealisierung des Preises ist Teil eines ideologischen Schritts gewesen. Die Idealisierung der Märkte als das Ordnungsmuster für unsere Gesellschaften ist Teil eines Systems, wo einige genau wissen, ich denke, es ist auch sehr strategisch, dass sie durch die Marktmechanismen nicht nur reich werden, sie haben auch Macht. Sie haben auch Macht über andere. Wenn wir das sogenannte Moralisieren an die Seite tun, das Moralisieren ist letztendlich eine Wertediskussion. In was für Gesellschaften wollen wir leben? Wie wollen wir zusammenleben? Worum geht es uns eigentlich hier in diesen Gesellschaften? Dass wir das an die Seite schieben und der Staat, da soll das mal ein bisschen an den Rande machen, aber die wichtigsten Sachen werden über die Märkte geregelt und ich glaube, das ist eines der Grundprobleme unserer heutigen Gesellschaft. Es hört sich ein bisschen komisch an, so Progressive sind ja meistens nicht diejenigen, die die Werte wieder nach vorne holen. Aber ich glaube, darum muss es heute gehen. Weil wir nur dann, wenn wir genau wissen, warum wir hier so zusammen leben wollen und wozu wir bestimmte Sachen machen wollen, auch dann wieder Maßstäbe setzen können, und zu sagen, das ist nicht okay, so kannst du das nicht benutzen. Und das Letzte, was ich gedacht habe bei deiner vorigen Ausführung, dass diese Worte, Kredit geht ja eigentlich auch auf eine Glaubhaftigkeit zurück, wenn man das lateinische Wort zugrunde legt. Es geht nicht nur darum, möglichst viele Zinsen abzuschöpfen, sondern es geht darum: Ich vertraue dir, Schuldner, ich gebe dir das Geld, aber du gibst es mir dann auch irgendwann zurück. Und der Schuldner vertraut dem Gläubiger auch irgendwo, dass er sagt, ich nehme das jetzt von dir, weil ich gerade nicht anders kann, aber ich zahle es dir auch zurück, da ist eine Beziehung geschaffen worden. Max Weber hat schon im 19. Jahrhundert ausgeführt, dass der Kreditvertrag der erste war, der praktisch entsozialisiert worden ist, der wurde zum reinen Zweckvertrag, zum reinen Gewinnvertrag und aus den gesellschaftlichen Prozessen enthoben. Ich glaube Teil unseres Systems ist, dass eigentlich immer mehr aus den gesellschaftlichen Prozessen enthoben wird. Und deswegen muss die Antwort gegenüber den, sagen wir Moralisierern, sein: Na genau darum geht’s. Wir wollen eine Wertediskussion. Wir wollen das nicht den Märkten überlassen, die nur nach Preismechanismen operieren, die die meisten Probleme, die wir heutzutage haben, einfach verfehlt. Damit kann er gar nicht umgehen.
Maja Göpel
Vor allem, weil deine Arbeit ja deutlich zeigt, dass Preise immer politisch sind und überhaupt nicht die beste Aushandlung von Angebot und Nachfrage. Also wenn Anbieter riesengroß sind und Nachfrager sehr klein, dann hast du da auch nicht viel Verhandlungsmacht. Das ist ja das Verlogene, auch im Libertären zu sagen, jetzt soll der Staat mal ganz hinten zurück und die freien Unternehmer machen was, ohne, dass ich einmal vorher hingeguckt habe, wie viel denn eigentlich gerade in der Hand der öffentlichen Daseinsvorsorge, Gesundheitswesen und privaten Akteuren ist. Und deshalb ja überhaupt nicht mehr von frei zu reden ist, sondern vielleicht eher mal von feudal. Ähm, deshalb vielleicht auch noch mal so einige der Begriffe wirklich zu überlegen. Also Deregulierung wird ja immer noch davon gesprochen. Eigentlich ist es ja viel Re-Regulierung. Also Deregulierung wären ein paar Standards, Bürokratieabbau und so, das sehe ich ein. Aber wenn man die Entscheidung darüber, unter welchen Bedingungen bekommen andere Zugang zu etwas …in einen privaten Raum verlagert, dann ist das eine Re-Regulierung. Dann ist das nicht auf einmal frei, sondern dann kontrolliert das eben jemand anderes. Und diese Personen, das war ja der wichtige Punkt, den du gemacht hast, sind nicht rechenschaftspflichtig. Die sind im Zweifel verpflichtet, in den USA den Shareholder-Value zu maximieren. Und dann ist natürlich klar, was sie priorisieren und wie sie ihre Geschäftsmodelle entwickeln.
Katharina Pistor
Und die Shareholder-Value-Maximierung kommt ja nur einer bestimmten Gruppe zugute, die kommt ja nicht den Arbeitnehmern zugute, die kommt nicht unbedingt den Konsumenten zugute. Und es gibt wunderbare Beispiele, wo man sehen kann, dass selbst die Sicherheit von Produkten, wenn man Boeing, die große Fluggesellschaft sich anguckt, die haben im namen des Shareholder-Values ihre Ingenieure praktisch auf Eis gelegt und haben dann mehrere Maschinen abstürzen lassen, bevor irgendwo eine Umkehr gemacht worden ist. Also es ist insofern wieder der Preismechanismus, wo es dann nur darum geht: Wir wollen irgendwie Risiken für die Finanzinvestoren abklären, aber wir denken nicht über Risiken nach, etwa über die Produkte, die wir herstellen. Boeing hatte noch nicht mal mehr ein Komitee, um die Sicherheit seiner eigenen Produkte festzustellen, als diese Max-Maschinen abgestürzt sind. Das sind einfach so Auswüchse eines Systems, das wirklich seinen Weg verloren hat, das einfach sich selbst so weiter perpetuiert hat unter dem Namen der Effizienz und der freien Märkte ohne Kontrollmechanismen zu sagen, wem nützt es eigentlich letztendlich.
Maja Göpel
Das wäre ja aber auch so ein ganz guter Ausgangspunkt, dass wir immer wieder überlegen in den Diskussionen, diese zwei Schritte zurückzugehen. Worum geht es eigentlich? Was sind die Ziele, die wir erreichen wollen? Wie steuert das, was wir momentan haben? Weil alles, was wir haben, hat ja eine Wirkung. Wir sind ja nie im freien Raum oder auf einer Tabula rasa, sondern wir haben immer Rahmenbedingungen. Und wer kann wie stark da steuernd eingreifen oder Standards setzen? Und das immer wieder einfach als normalen Prozess thematisieren. Ich verstehe auch nicht, dies rechts, links oder irgendwas. Wenn wir gesellschaftliche Ziele konsequent verfehlen, dann frag ich mich doch, wo sind die Fehlsteuerungen, weil das sind alles menschgemachte Instrumente. Und den Ethos sollten wir doch noch haben. Also wir sind doch die intelligente Spezies, die wahnsinnige Sachen in die Welt bringen kann. Dass wir sagen, wir machen die Instrumente besser, anstatt zu sagen, lass uns das mit den Zielen wieder lassen. Ist im Moment ja auch eine gängige Argumentationsweise, du sitzt in den USA. Wir gucken, dass die ganzen Konsequenzen dieses Handelns einfach aus der Öffentlichkeit verschwinden. Also Klimaberichterstattung hat Hermi Leyen, Argentinierin, auch schon verboten aus den öffentlichen Räumen. Ich darf überhaupt gar nicht mehr an den Themen problemlos forschen. Wir nehmen im Grunde genommen die Informationen, die Verantwortlichkeiten zuordnen könnten, raus aus dem Gewusel, worauf sich Politik und EntscheiderInnen irgendwo rechtfertigen müssen. Was wünschst du uns denn von dort, oder erst mal für dich dort, oder dann eben für vielleicht Europa? Leute, was wären die drei, vier Dinger, die müsst ihr jetzt wirklich ernst nehmen, um dieser Entwicklung was entgegenzustellen.
Katharina Pistor
Ich denke, eins ist ganz sicher, dass man ins Gespräch kommt miteinander, mit Menschen, selbst, wenn die politisch woanders stehen. Und wieder diese Themen: Was wollen wir eigentlich, was wollen wir zusammen erreichen und wie können wir das zusammen erreichen? Und da gibt es ja auch viel, was schon passiert ist von Leuten, die einfach auf die Straße gehen und versuchen, mit Menschen zu reden. Das ist, glaube ich, ganz wichtig in allen Bereichen zu sagen. Worum geht es uns eigentlich hier, und diese Fragen zu stellen und die Normativität dessen, was wir machen, die Auswirkungen davon mitzuüberdenken, und zwar nicht nur in diesen Finanzbereichen. Und dass man sich nicht in die Ecke drängen lässt, dass man nicht nur in der Defensive ist und sagt, ja, wir wollen aber auch ein bisschen normative Werte haben, sondern zu sagen: Das ist es letztendlich, worum es geht. Wir müssen uns überlegen, wie wir Menschen würdig in Gesellschaften helfen können, miteinander zu leben und wir können auch dabei gemeinsam gestaltend sein. Und wir haben unglaubliche Ressourcen, dies zu tun, die gibt es schon. Das ist ja auch das Wichtige, einfach zu realisieren. Das ist nicht nur, was wir von der Pike auf neu erfinden müssen, sondern es gibt es schon. Wir müssen nur die Kontrollmechanismen nutzen und wir müssen politische Bewegungen und Politiker dahinter bekommen, zu sagen, da stehen wir auch zu. Das wollen wir auch mitrealisieren – und sich nicht nur von den großen Lobby-Maschinen beeinflussen zu lassen. Ich glaube, man kann vieles auf einem kleinen Bereich machen, das ist auch wichtig für politische Bewegung. Und dann sind aber einige wichtige, große Weichenstellungen ganz oben wichtig. Dazu, finde ich, gehört das Geldwesen ganz sicher. Dazu gehören auch rechtliche Maßnahmen, die jedenfalls alternative Möglichkeiten wie neue Unternehmensformen oder neue Finanzformen oder alte Finanzformen wie das Genossenschaftswesen oder solche Sachen, wieder neu aufleben lassen, damit wir eine Chance haben, einfach auch im gelebten Prozess festzustellen, dass diese Mechanismen funktionieren. Das sind nicht nur Utopien, sondern das sind tatsächliche Möglichkeiten, die, wenn sie sich verbreiten würden, und das könnten sie unter den richtigen Bedingungen, für viele Menschen das Leben besser und auch reichhaltiger, normativ reichhaltiger machen würden.
Maja Göpel
Also damit legen wir den Spruch mal beiseite, marktkonforme Demokratie, sondern ganz im Gegenteil. Alle Märkte sind menschengeschaffen durch Institutionen und haben immer Werturteile eingebaut. Mehr ist es ja gar nicht. Und dann können sich diejenigen, die keine Lust haben auf Moralisieren, ja trotzdem einmal damit auseinandersetzen, welche Konsequenzen das von ihnen präferierte Modell in die Welt trägt. Sie können ja gerne sagen, der Rest ist mir egal, aber dann müssten sie es transparent machen und dazu stehen, weil dann kommen wir anders ins Gespräch.
Katharina Pistor
Das sehe ich auch so.
Maja Göpel
Vielen, vielen lieben herzlichen Dank hier aus Berlin rüber und alles Gute. Also wir beobachten natürlich gespannt, wie die Wissenschaft und die mediale Freiheit dort sich verhält und…
Katharina Pistor
Ja, da muss man gespannt bleiben leider. Das sehe ich auch so. Danke.
Maja Göpel
Ja, und in dem Sinne halten wir das hier hoch und auf ein nächstes Mal.
Katharina Pistor
Danke, tschüss.
Maja Göpel
So, vielen herzlichen Dank fürs Zuhören. NEU DENKEN ist ein Projekt von Mission Wertvoll, einem Science-Society-Netzwerk, das sich den Chancen und Wegen in eine nachhaltige Zukunft verschrieben hat. Wie wir da hinkommen, das werden wir nur gemeinsam herausfinden, und deshalb freuen wir uns über eure Aufmerksamkeit, aber auch über Feedback oder Wünsche; Welche Themen ihr mal neu denken möchtet, oder welche Gäste ihr dafür besonders prädestiniert findet. Wir haben dafür eine Email-Adresse eingerichtet die heißt neudenken@mission-wertvoll.org. Hoffentlich bis auf ein nächstes Mal!