Debattenkompass Wert & Wirkung

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Mit Wert & Wirkung bieten wir einen wissenschaftlich fundierten Kompass für die Debatten unserer Zeit an. Diesmal erklären wir, warum soziale Kipppunkte wesentlich dazu beitragen können, das jetzige System zu transformieren. 

Am 1. Dezember 1955 blieb Rosa Parks in einem Bus in Montgomery, Alabama, einfach sitzen – obwohl sie laut Gesetz einem weißen Fahrgast ihren Platz hätte überlassen müssen. Ihr stiller Protest und die spätere Festnahme wurden zu Auslöser der US-Bürgerrechtsbewegung und erneuerten das System.

Wenn sich die Dinge plötzlich und grundlegend verändern, sprechen wir von einem Kipppunkt. Damit es dazu kommt, braucht es nicht nur Pioniere wie Rosa Parks, sondern auch die Mutigen, die ihnen folgen. Denn ohne Unterstützung können Pioniere ihre mutigen Ideen nicht vorantreiben und in der Gesellschaft verbreiten.

Wir folgen der Herde

Der Ökonom Thomas Schelling hat in seinen Untersuchungen gezeigt, dass oft schon 10 bis 25 Prozent engagierter Menschen ausreichen, um gesellschaftliche Mehrheiten zu bewegen.

Ein zentraler Hebel, um den systemischen Wandel anzustoßen, sind soziale Normen – gesellschaftliche Regeln, an denen wir unser Verhalten ausrichten. „Soziale Normen liefern ein Skript, wie sich die oder der Einzelne in bestimmten Situationen verhalten sollte” , sagt der Sozialpsychologe Immo Fritsche dazu im Deutschlandfunk: „Damit haben sie eine unheimliche Macht über uns, auch wenn wir davon gar nichts bemerken.“ Wenn wir glauben, dass nur wenige Menschen Klimaschutz befürworten, äußern wir uns weniger offen dazu und engagieren uns seltener.

Sobald wir aber feststellen, dass andere ähnlich denken oder handeln, fühlen wir uns stärker – und handeln ebenfalls. Ein Beispiel: Je mehr Menschen Solaranlagen installieren, desto eher ziehen andere nach.

Wir ermöglichen den Wandel

Wir können die Situation so mitgestalten, dass Kipppunkte möglich werden. „Soziales Verhalten – sowohl positives als auch negatives – kann ansteckend sein“, sagt Soziologin Ilona Otto. In einer Studie von 2020, die sie und weitere Forschende veröffentlicht haben, kommen sie zu dem wichtigen Schluss: Enthusiasmus und günstige Rahmenbedingungen sind entscheidend, um Menschen an Bord zu holen – wie etwa 2018 bei Fridays for Future.

So haben finanzielle Anreize für erneuerbare Energien dafür gesorgt, dass diese Technologien zunehmend günstiger werden und der Markt immer weiter wächst. Aber es gibt auch Hindernisse, die sozialen Kipppunkten im Weg stehen und Veränderung erschweren, wie liebgewonnene Gewohnheiten, soziale Ungleichheit, Politikverdrossenheit und Polarisierung. Gleichzeitig flammen Narrative und Ausreden, die soziale Kipppunkte verzögern, heftig auf.

Doch gerade weil diese Hindernisse existieren, kommt es darauf an, ihnen nicht nur Aufmerksamkeit zu schenken, sondern sie aktiv zu überwinden. Wenn wir verstehen, wo Veränderung ins Stocken gerät, können wir gezielt an den Stellschrauben drehen, die einen gesellschaftlichen Wandel beschleunigen. Die Studie rund um die Wissenschaftlerin Ilona Otto zeigt, an welchen Punkten solche sozialen Kippprozesse einsetzen können:

Die Studie rund um die Wissenschaftlerin Ilona Otto zeigt, an welchen Punkten soziale Kippprozesse einsetzen können. Quelle: Social tipping dynamics for stabilizing Earth’s climate by 2050

Einige Veränderungen wie das Streichen fossiler Subventionen könnten kurzfristig, etwa binnen eines Jahres, umgesetzt werden. Andere, wie etwa der Umbau des Bildungssystems, würden sich über ein bis zwei Generationen hinziehen. „Dass sich die Werte und Normen unserer Gesellschaft verändern, ist ein längerer, schleichender Prozess, der über viele Jahre scheinbar im Hintergrund abläuft”, erklärte uns Klimapsychologin Lea Dohm. „Das Schöne daran ist, dass wir alle etwas dazu beitragen können, zum Beispiel, indem wir selbst prüfen, was uns eigentlich wichtig ist. Es gibt viel zu gewinnen!”

Welche Wendepunkte wir bereits erreicht haben

Am 11. März 2011 beschädigten ein Seebeben und ein Tsunami das japanische Kernkraftwerk Fukushima schwer, es kam zur Kernschmelze und Zehntausenden Toten. Nur wenige Tage später beschloss die damalige Bundesregierung aus CDU und FDP den Ausstieg aus der Atomenergie – ein radikaler Kurswechsel, denn noch kurz zuvor hatte sich dieselbe Regierung ausdrücklich für die Kernkraft ausgesprochen. Der Atomausstieg nach der Reaktorkatastrophe von Fukushima ist ein weiteres der vielen Beispiele für gesellschaftliche Wendepunkte.

Bei der Solarenergie kam der Kipppunkt 2009: Deutschland führte die Liste der weltweit installierten Photovoltaik-Leistung pro Kopf an. Neben staatlicher Förderung und günstiger Kredite spielten auch soziale Faktoren eine entscheidende Rolle für diesen Erfolg. Eine Studie des Volkswirts Johannes Rode von der TU Darmstadt zeigte, dass mit jeder neuen Solaranlage in einem Wohnviertel die Wahrscheinlichkeit stieg, dass weitere folgen.

Wie wir Hoffnung für die Zukunft schöpfen

Solche Geschichten zeigen: Transformation kann schnell gehen, wenn eine kritische Masse erreicht ist oder es bereits gute Rahmenbedingungen dafür gibt. „Keiner von uns handelt isoliert von dem, was davor war oder was andere tun”, schreibt unsere Mitgründerin, die Transformationsforscherin Maja Göpel. Oder anders gesagt: Wer glaubt, er oder sie sei zu unbedeutend, um etwas zu verändern, irrt. Der Kipppunkt beginnt oft genau dort – bei einem einzigen Menschen, der vorausgeht oder einfach sitzen bleibt. So wie 1955 Rosa Parks und dann 2018 Greta Thunberg. Ein scheinbar kleiner Akt einer einzelnen Person entwickelte große Wirkung.

Das macht Mut…

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Wie wir unsere Debatten eigentlich führen sollten, wenn wir unsere Ziele ernst nähmen, können Sie in unserem Debattenkompass nachlesen.

Mission Wertvoll hören und sehen

Finden wir als Gesellschaft zu gemeinsamen Werten?

Credit: IMAGO / Zoonar

Auf der Better Future Conference hat Maja Göpel darüber gesprochen, warum Wohlstand für alle nur dann funktioniert, wenn keiner fallen gelassen wird.

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