Mit Wert & Wirkung bieten wir einen wissenschaftlich fundierten Kompass für die Debatten unserer Zeit an. Diesmal erklären wir, warum wir auch im globalen Norden schon bald unter vermehrten Ernteausfällen leiden könnten – und was wir dagegen tun können.
Wir alle müssen essen – morgens, mittags, abends. In Deutschland – und im globalen Norden generell – profitieren wir seit Jahrzehnten von einer stabilen Lebensmittelversorgung, optimiert durch künstliche Düngemittel, Pestizide und die Industrialisierung der Landwirtschaft.
Doch das System hat eine Kehrseite, die unsere Existenz bedrohen könnte: Die Böden werden ausgelaugt, Wälder gerodet, Monokulturen wie Soja lassen Tiere und Pflanzen aussterben. Und all das heizt auch noch unser Klima auf. Schon heute treten in Teilen der Welt so regelmäßig extreme Dürren und Überschwemmungen auf, dass Ernten nicht nur ausfallen, sondern eine Bepflanzung mitunter schon gar nicht mehr möglich ist. Ohne effiziente und schnelle Maßnahmen könnten selbst reichere Länder schon bald unter vermehrten Ernteausfällen leiden, warnte daher auch der Direktor des globalen Büros des Welternährungsprogramms (WFP), Martin Frick.
Worum geht es eigentlich?
Es wird deutlich: Es geht um uns und unsere Zukunft. Die Industrialisierung der Lebensmittelproduktion ist kein Selbstzweck, an erster Stelle geht es schließlich darum, eine immer weiter wachsende Weltbevölkerung satt zu bekommen und gesund zu halten – ohne den Planeten dabei an seine Grenzen und darüber hinaus zu bringen.
Allerdings haben wir bereits einen Kipppunkt erreicht: Weiten wir die Viehzucht, Monokulturen und den Einsatz von Dünger und Maschinen weiter aus, wird unsere Ernährungssicherheit bedroht. Weil die Böden aktuellen Studien zufolge weniger fruchtbar und damit anfälliger für Wind- und Wassererosionen werden. Weil Gülle und Dünger das Grundwasser belasten und durch den dadurch entstehenden Nährstoffüberschuss ganze Ökosysteme in Flüssen und Seen kippen lassen. Weil sich die Böden durch die schweren Maschinen verdichten. Die Liste ließe sich weiter fortführen, aber ein Trend lässt sich auch so erkennen.
Die Global Environment Facility schätzt, dass bis 2050 95 Prozent der weltweiten Böden degradiert sein könnten. Nach Angaben der UN sind bereits jetzt 40 Prozent der Böden betroffen – und jährlich kommen rund 100 Millionen Hektar dazu. Das hat gravierende Auswirkungen. Denn wenn sich die Bodenqualität verschlechtert, nehmen die Ernteerträge ab. In trockenen Gebieten spricht man hierbei auch von Desertifikation. Diese ist häufig eine Kettenreaktion, die von uns Menschen verursacht wird und fruchtbare Acker- und Weideflächen in unfruchtbares Land verwandelt.
Als biologische Wesen sind wir allerdings auf eine gesunde Erde und funktionierende Ökosysteme angewiesen. Da wir das mit Blick auf das Wirtschaftswachstum manchmal vergessen, hat das Weltwirtschaftsforum den Wert der Natur für uns in Geldwerte übersetzt. Demnach ist mehr als die Hälfte des weltweiten BIP – 2020 waren das 44 Billionen US-Dollar – mäßig oder stark von der Natur und ihren Leistungen abhängig. Leidet die Natur, leiden wir. Auch wirtschaftlich.
Das hat die Weltgemeinschaft erkannt und 2015 die Agenda 2030 mit ihren 17 Zielen für nachhaltige Entwicklung verabschiedet – die Sustainable Development Goals (SDG). Die Ernährungssicherheit wird gleich in mehreren dieser Ziele zum Thema: So haben es sich 193 Länder zum Ziel gesetzt, den Hunger bis 2030 zu beenden (SDG 2) und resiliente landwirtschaftliche Methoden anzuwenden, die zwar den Ertrag steigern, aber auch zur Erhaltung der Ökosysteme beitragen (SDG 2.4). Im Unterziel 15.3 heißt es außerdem, dass die Wüstenbildung bekämpft und eine Welt angestrebt werden soll, in der die Landverödung neutralisiert wird.
Nur wenn wir verschiedene Hebel in Bewegung setzen, können wir die jetzige Entwicklung umkehren und eine weiter wachsende Weltbevölkerung satt bekommen.
Was passiert, wenn wir weitermachen wie bisher?
Im neuen „State of the Climate Report“ zeichnen Forschende ein düsteres Bild der Zukunft: Bereits jetzt befinden sich von 35 „Vitalzeichen“ der Patientin Erde 25 Werte in extremen Bereichen, im Bericht von 2023 waren es noch 20. So ist etwa der Bestand an Nutztieren deutlich gestiegen. Die dadurch verursachte Zunahme an Methanemissionen sei „beunruhigend“. Die Studienautoren erklären mit Blick auf die sich verschlechternden Vitalwerte der Erde, es stehe nicht weniger als der Zusammenbruch von Gesellschaften auf dem Spiel.
Entsprechend gehandelt wird allerdings nicht. Im Gegenteil, 2023 wurde weltweit ein neuer Höchststand an Treibhausgasen gemessen. Einer der größten Antreiber für die Überschreitung gleich mehrerer planetarer Grenzen ist dem „Planetaren Gesundheitscheck“ zufolge das globale Ernährungssystem, das für rund 30 Prozent der CO2-Emissionen verantwortlich ist.
Dank menschlichen Einfallsreichtums und technischen Fortschritts konnten wir eine Weltbevölkerung ernähren, die sich seit den 1970er Jahren verdoppelt hat. Ein Erfolg. Allerdings auf Kosten der Erde. Dieser fügen wir jährlich nicht einberechnete Schäden in Höhe von rund 15 Billionen US-Dollar zu, was zwölf Prozent des globalen Bruttoinlandprodukts (BIP) im Jahr 2020 entsprach. Das ist mehr, als das Ernährungssystem überhaupt zu diesem beiträgt.
Schauen wir explizit auf Deutschland, zeichnet sich ebenfalls ein Ungleichgewicht ab: Die hiesige Landwirtschaft hat einen Anteil von rund 0,7 Prozent (ca. 21 Milliarden Euro) an der deutschen Bruttowertschöpfung. Dem gegenüber stehen externe Kosten von mindestens 90 Milliarden Euro. Diese entstehen durch Treibhausgasemissionen, Luftschadstoffemissionen, nachlassende Wasser- und Bodenqualität sowie den Verlust von Biodiversität.
Fangen wir nicht an, das System zu transformieren, steuern wir bis Ende des Jahrhunderts nicht nur auf eine 2,7 Grad heißere Welt zu, es werden auch über 640 Millionen Menschen hungern, darunter 121 Millionen Kinder. Gleichzeitig steigt die Zahl übergewichtiger Menschen bis 2050 um 70 Prozent an. Die Folge: Die Kosten fürs Gesundheitswesen steigen von jetzt 600 Milliarden auf knapp drei Billionen Dollar – bis 2030. Aufgrund der zunehmenden Ernährungsunsicherheit steigen die Lebensmittelpreise, Armut und Hunger verstärken sich, soziale Spannungen nehmen weiter zu. Die Transformation des Ernährungssystems ergibt also auch wirtschaftlich Sinn.
Wer tut schon was?
Die Bundesregierung hat eine Ernährungsstrategie entwickelt, die sowohl unserer Gesundheit als auch der unserer Erde gut tun soll. Sie soll zur weiteren Verzahnung zwischen den Agrar- und Ernährungsbereichen beitragen und entsprechend des One-Health-Ansatzes einen Beitrag dazu leisten, die Gesundheit von Menschen, Tieren und Ökosystemen nachhaltig ins Gleichgewicht zu bringen. Bis 2045 soll die Nahrungsmittelversorgung in Deutschland klimaneutral sein.
An dieser Stelle knüpft auch das Forschungsprojekt Cubes Circle der Humboldt-Universität zu Berlin an, für das Wissenschaftler an der Lebensmittelproduktion der Zukunft forschen: ein kreislauforientiertes System, das platzsparend, energieeffizient, ressourcenschonend und mobil funktioniert – ganz nach dem Vorbild der Natur. Es umfasst drei digital vernetzte Module (Cubes): Fische, Gemüse, Insekten. Das Fischwasser düngt die Pflanzen, Pflanzenabfälle ernähren die Insekten – und aus den Insekten wird Fischfutter. Diese Kreisläufe sollen landwirtschaftliche Emissionen reduzieren und gleichzeitig hohe Erträge in hoher Qualität liefern. Und das ganz lokal.
Große Möglichkeiten für Landwirtschaft und Klimaschutz bietet auch Agri-Photovoltaik. Dafür produzieren Solarzellen über den Feldern Strom, darunter wächst weiterhin Getreide, Obst oder Gemüse. Die Fläche wird also gleich doppelt genutzt, eine Win-Win-Situation. Eine Umfrage der Universität in Göttingen zeigt, dass ein Großteil der deutschen Landwirte offen gegenüber der doppelten Landnutzung mit PV-Anlagen ist.
Im Rahmen des Forschungsprogramms FONA „Forschung für nachhaltige Entwicklung“ wird diese bereits erprobt, eine Pilotanlage befindet sich in Heggelbach am Bodensee. Gefördert wird das Projekt vom Bundesministerium für Bildung und Forschung. Neben einer effizienteren Landnutzung kann Agri-PV auch zu einer Sekung des Wasserverbrauchs in der Landwirtschaft führen, stabile zusätzliche Einkommensquellen für die Betriebe generieren und damit die Resilienz der Höfe bei Ernteausfällen durch Extremwetter erhöhen.
Wie ist der nächstmögliche Schritt?
Eine mögliche Strategie zur grundlegenden Veränderung von Landwirtschaft und Ernährung hat die EAT-Lancet-Kommission mit der Planetary Health Diet entwickelt. Ihr Ziel: Sie will die Gesundheit der Menschen und der Erde gleichermaßen schützen. Dafür müssten wir den Verzehr von Obst, Gemüse, Hülsenfrüchten und Nüssen in etwa verdoppeln, den Konsum von Fleisch und Zucker hingegen halbieren. Laut dem Report könnten so bis 2050 etwa zehn Milliarden Menschen gesund ernährt werden – ohne den Planeten dabei zu überlasten.
Diese Anpassungen zahlen sich auch wirtschaftlich aus: Reduziert Deutschland den Fleischkonsum wie vorgeschlagen von 164 auf 45 Gramm pro Tag und Person und verringert die Lebensmittelverschwendung von rund 30 Prozent auf null, könnten die externen Kosten der Landwirtschaft, die derzeit bei 90 Milliarden Euro liegen, um bis zu 40 Prozent sinken. Hier hat Deutschland allerdings noch einen weiten Weg vor sich.
Vorbildlich voran geht hier Frankreich. Seit 2016 ist es den dortigen Supermärkten verboten, unverkaufte Lebensmittel wegzuwerfen. Außerdem gibt es zahlreiche Initiativen, die nicht verkaufte Lebensmittel weiterverarbeiten und an Bedürftige verteilen.
Um die Ernährungssicherheit auch zukünftig zu gewährleisten und innerhalb der planetaren Grenzen zu wirtschaften, sind laut Forschenden mehrere Maßnahmen erforderlich. So brauche es eine Einschränkung landwirtschaftlicher Aktivitäten in Schutzgebieten, was auch dem Erhalt von Wäldern und Artenvielfalt zugute käme. Auch der Schutz aquatischer Ökosysteme, eine Senkung des Wasserverbrauchs und des Einsatzes von Düngemitteln sind dafür zentral. Das bedeutet aber auch: einen signifikanten Rückgang der Herstellung tierischer Produkte.
Denn die Produktion tierischer Lebensmittel benötigt große Flächen für Weiden und Futtermittel sowie viel Wasser. Aufgrund des hohen Methanausstoßes der Wiederkäuer sind tierische Lebensmittel somit für rund 60 Prozent der Emissionen im Ernährungssystem verantwortlich. Dabei machen tierische Produkte wie Fleisch und Milch nur 18 Prozent der Kalorien und 37 Prozent der täglich konsumierten Proteine aus. Hinzu kommt, dass tierische Lebensmittel im Vergleich zu pflanzlicher Nahrung ein Vielfaches an Energie und Ressourcen verschlingen. Um eine Kalorie Rindfleisch zu erzeugen, verbrauchen wir sechs bis 21 pflanzliche Kalorien – das ist deutlich ineffizienter, als würden wir diese in Form von Gemüse, Hülsenfrüchten und Nüssen direkt essen.
Essen wir weniger tierische Produkte, lösen wir gleich mehrere Probleme auf einmal: Rodung und Flächenverbrauch werden reduziert, Wassergebiete geschützt und der Verbrauch reduziert. All das zahlt auf den Schutz von Biodiversität und Klima ein.
Aus wissenschaftlicher Sicht ist die Lage eindeutig: Die Politik sollte eine pflanzenbetonte Ernährung fördern und für alle zugänglich und bezahlbar machen. In anderen Worten: Unsere Infrastrukturen und das Wirtschaftssystem zur Erzeugung von Nahrung sollten systematisch umgebaut werden. Erst, wenn die gesunde und nachhaltige Wahl günstiger, einfacher und attraktiver ist, wird die Transformation des Systems gelingen und damit sichern, dass wir auch zukünftig morgens, mittags und abends ein gutes Essen auf den Tisch bekommen.
Im Interview mit „Menschen Machen Medien“ fordert Maja Göpel eine kritische Berichterstattung, die nicht nur über Probleme, sondern auch über Lösungsansätze spricht.