Debattenkompass Wert & Wirkung

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Mit Wert & Wirkung bieten wir einen wissenschaftlich fundierten Kompass für die Debatten unserer Zeit an. Diesmal erklären wir, warum wir Flutkatastrophen nicht machtlos ausgeliefert sind und wie wir sie bestmöglich abmildern können.

Extremwetterereignisse häufen sich, werden heftiger. Auch in Deutschland, wie die aktuelle Hochwasserkatastrophe in Bayern und Baden-Württemberg zeigt. Das hat rein physikalische Gründe, denn je Grad Erhitzung kann die Luft etwa sieben Prozent mehr Wasserdampf aufnehmen – und der stellt die Energie und die Wassermassen für solche Extremereignisse bereit. Aber auch Dürren zählen zu Extremwetter – lang andauernde, warme Hochdruckgebiete verhindern nicht nur Niederschlag, sondern sie trocknen auch den Boden aus.

Worum geht es eigentlich?

Um unseren Wohlstand zu sichern und Städte und Kommunen widerstandsfähiger zu machen, hat sich die Weltgemeinschaft unter dem Dach der Vereinten Nationen zu 17 globalen Zielen (Sustainable Development Goals – SDGs) für eine bessere Zukunft verpflichtet. Das SDG 11 – Nachhaltige Städte und Gemeinden (Unterziel 11.5) – nimmt in den Blick, durch Katastrophen wie Überschwemmungen bedingte Todesfälle und wirtschaftliche Verluste zu verringern.

Schon 2008 hatte die Bundesregierung eine „Anpassungsstrategie an den Klimawandel“ angekündigt, mit der erstmalig datenbasiert die Risiken der Klimakrise in Pläne integriert und überprüft werden sollten. Dazu kam es nicht, erst Ende 2023 beschloss die Ampel-Koalition ein Bundes-Klimaanpassungsgesetz. Ein Fortschritt, aber es braucht dazu eine detailliert ausgearbeitete entsprechende Strategie, die bisher noch nicht umgesetzt ist.

Extremwetter verursacht schwere Schäden: Allein bei der Hochwasserkatastrophe im Ahrtal 34 Milliarden Euro laut WWF und der Unternehmensberatung Deloitte – davon versichert waren nur rund acht Milliarden Euro. Zahlen, die das Leid der Menschen vor Ort nicht berücksichtigen. 180 Menschen starben, Existenzen wurden zerstört.

Unberechenbares Wetter hat auch Auswirkungen auf Versicherungen, die eine hilfreiche soziale Technologie darstellen, Risiken verteilen und zur Absicherung von Werten beitragen. Was droht, wenn die Risiken zu hoch werden, wird besonders deutlich in den USA: Beiträge steigen für Hausbesitzerinnen und Hausbesitzer mitunter um die Hälfte oder mehr, die Leistungen werden reduziert. Versicherungen ziehen sich sogar aus einzelnen Bundesstaaten gänzlich zurück.

Die Klimakrise hat einen zunehmenden Einfluss auf die Schwere und Häufigkeit von Stürmen, Flutkatastrophen, Starkregen, Hitzewellen und Dürren, wie die von der Physikerin Friederike Otto am Imperial College London mitentwickelte Attributionsforschung zeigt. Annähernd in Echtzeit liefert diese Daten dazu, um wie viel wahrscheinlicher ein konkretes Ereignis wie etwa die Flutkatastrophe im Ahrtal oder die Hitzewelle in den USA und Kanada 2021 war. Letztere wäre ohne die Klimakrise „nahezu unmöglich“ gewesen.

Quelle: DBU

Was passiert, wenn wir weitermachen wie bisher?

Welche Werte wollen wir wirklich schützen? Verbrennen wir weiterhin fossile Brennstoffe wie Kohle, Öl und Gas, nimmt die CO2-Konzentration in der Atmosphäre zu. Bei einer Erderhitzung von mehr als zwei Grad werden laut IPCC-Bericht mit großer Sicherheit extreme Wetterereignisse kritische Schwellenwerte überschreiten. Zudem rechnen die Forschenden mit intensiverem Starkregen und Überschwemmungen. Die Kosten würden weltweit rapide steigen und die Investitionen in eine sozial-ökologische Transformation bei Weitem übertreffen. „Bis Mitte des Jahrhunderts sind die Schäden bereits sechsmal höher als die Kosten, die es brauchen würde, um das Pariser Klimaabkommen einzuhalten“, sagt Leonie Wenz, Klimaforscherin am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK).

Allein im Zeitraum von 2020 bis 2023 haben Extremwetterereignisse jedes Jahr in Folge einen globalen Schaden von über 100 Milliarden US-Dollar verursacht. Mittlerweile müssen Versicherungsgesellschaften regelmäßig Summen auszahlen, die bis dato als außergewöhnlich galten. Vielen großen Volkswirtschaften drohen durch solche Ereignisse finanzielle Verluste von etwa zehn Prozent ihres Bruttoinlandprodukts (BIP).

Erst kürzlich hat der Gesamtverband der Versicherer (GDV) in einer Studie mit Daten der Landesumweltämter ermittelt, wie viele Adressen in den deutschen Bundesländern von Überschwemmungen bedroht sind: Spitzenreiter sind Sachsen (3 Prozent) und Thüringen (2,7 Prozent). Im rheinland-pfälzischen Landkreis Cochem-Zell ist die Gefahr mit 10,5 Prozent am größten – viele Häuser stehen dicht an dicht nahe der Mosel.

Wer tut schon was?

Es gibt also einen großen Bedarf für neue Versicherungsmodelle. Bislang werden Risiken etwa durch Überschwemmungen kaum eingepreist.

Ein Konzept, das früher ansetzt und dazu beitragen soll, Überschwemmungen zu verhindern, gibt es bereits: Forschende aus China haben Anfang 2000 das Schwammstadt-Modell entwickelt. Denn Grund für das steigende Risiko von Überschwemmungen sind neben dem Wetter die Begradigung von Flüssen, Entwässerungsmaßnahmen sowie die Versiegelung von Böden mit Straßen, Parkplätzen, Gebäuden. Kurz: Wir brauchen freie Flächen, damit das Wasser besser versickern kann. Hervorragend funktioniert das bereits in Kopenhagen: Speziell angelegte Straßen leiten das Regenwasser oberirdisch ab. Es sammelt sich in Rückhaltebecken, die leer etwa als Sport- oder Spielplätze genutzt werden.

Die Rummelsburger Bucht in Berlin punktet mit vergleichbaren Versickerungsmaßnahmen, etwa begrünten Dächern und Versickerungsmulden. In Hamburg und Köln sind ähnliche Konzepte in Planung.

Das Risiko wird mittlerweile häufiger erkannt: Im Wasserhaushaltsgesetz ist etwa die Wiederherstellung natürlicher Zustände von Flüssen als Ziel festgelegt worden, um Überschwemmungen abzuschwächen. An der Elbe, Donau, Fulda und Murg gibt es große Renaturierungsprojekte. Auch bei Lenzen in Brandenburg wird der Deich rückverlegt, was dazu führt, dass sich das Wasser auf einer größeren Fläche ausbreiten kann. Das Ergebnis: Ein halber Meter weniger Hochwasser.

Bild: IMAGO / ecomedia/robert fishman

Unter dem Spielplatz in Rotterdam befindet sich ein riesiger Wasserspeicher. Bild: IMAGO / ecomedia/robert fishman

Wie ist der nächstmögliche Schritt?

Der Ausstieg aus den fossilen Energien und der damit einhergehende Ausbau der Erneuerbaren ist und bleibt entscheidend. So können wir effektiv Emissionen senken, was wiederum die Wahrscheinlichkeit von Extremwetterereignissen verringert. Schon jetzt stellen die Erneuerbaren mit Abstand die günstigste Option dar, Strom zu erzeugen. 2023 stammten bereits 30 Prozent des global erzeugten Stroms aus Solar- und Windkraft. In Deutschland waren es im ersten Quartal von 2024 sogar knapp 60 Prozent.

Wie Versicherungsschutz im Fall von Naturkatastrophen einfach und umfassend funktionieren kann, zeigt sich in Frankreich. Seit 1982 greift dort eine ganzheitliche und solidarische Lösung. Die Abdeckung der Haushalte liegt bei nahezu 100 Prozent, die Einzelkosten liegen bei durchschnittlich 26 Euro im Jahr. Der Trick: „Die Versicherung gegen Elementarschäden ist Pflichtbestandteil in der Hausrat- und Gebäudeversicherung und der Teil- und Vollkaskoversicherung für Kraftfahrzeuge“.

Das Modell könnte Vorbild für Deutschland sein, bislang verfügen nur 54 Prozent der Gebäude über eine Elementarschadenversicherung. bedacht werden könnte zudem eine Staffelung der Kosten – je nachdem, ob man in einem Hochwasser-Risikogebiet wohnt, oder nicht.

Es gilt zudem, Anpassungsmaßnahmen schneller umzusetzen – also etwa Flächen entsiegeln, Wälder aufforsten und Moore wiedervernässen. So können natürliche Lebensräume und Ökosysteme wiederhergestellt und die Hochwassergefahr gemindert werden. Festgehalten wurden diese Maßnahmen auf europäischer Ebene im Nature Restoration Law, über das wir bereits berichteten. Mit dem im März 2024 vom EU-Parlament beschlossenen Renaturierungsgesetz gibt es das richtige Werkzeug zur Verhinderung größerer Schäden und Katastrophen bereits. Mit einer Maßnahme erreichen wir gleich mehrere Benefits – mehr Hochwasserschutz, mehr Biodiversität. Nun müssen die einzelnen Staaten noch zustimmen, damit die Umsetzung beginnen kann.

Anpassungsmaßnahmen braucht es auch beim Häuserbau, wie der Gesamtverband der Versicherer fordert: So sollten – „spätestens bis Ende 2025“ – verpflichtend Gefährdungsbeurteilungen in Bezug auf Klimafolgen und Extremwetterereignisse in die Musterbauordnung aufgenommen werden. Grundlage dafür soll das im Aufbau befindliche Naturgefahrenportal vom Deutschen Wetterdienst (DWD) sein.

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