Debattenkompass Wert & Wirkung

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Mit Wert & Wirkung bieten wir einen wissenschaftlich fundierten Kompass für die Debatten unserer Zeit an. Diesmal erklären wir, warum unser Wohlstand und unsere Sicherheit von stabilen und sich regenerierenden Ökosystemen abhängig sind.

Die Bundestagswahl Ende Februar markiert ein richtungsweisendes Jahr für Deutschland – politisch, wirtschaftlich und gesellschaftlich. Es ist eine Zeit, in der entscheidende Fragen auf uns zukommen: Wie sichern wir den gesellschaftlichen Zusammenhalt, die Zukunftsfähigkeit unseres Landes und das Vertrauen in die Demokratie? Antworten darauf sind dringend notwendig.

Denn die großen Herausforderungen – vom Fachkräftemangel über fehlenden Wohnraum bis hin zum Schutz unserer Lebensgrundlagen – erfordern transformative politische Anstrengungen. Diese müssen auf kollektiven Werten basieren und langfristige Ziele im Blick behalten.

Worum geht es eigentlich?

Wahlkämpfe sind geprägt vom Ringen um Deutungshoheit: Wer trägt die Verantwortung für aktuelle Probleme? Welche Partei hat die überzeugendsten Lösungen? Und: Welche Werte sichern Erfolg und Stabilität?

Doch der diesjährige Bundestagswahlkampf zeigt, wie leicht zentrale Themen in eine diskursive Falle geraten. In der Debatte über Wirtschaftspolitik – eines der Top-Themen – werden Maßnahmen oft gegeneinander ausgespielt. Nachhaltigkeit und Klimaschutz werden dabei häufig auf Kostenfragen für Privathaushalte oder angebliche Nachteile für die Wirtschaft reduziert.

Dabei übersehen wir, dass unser Wohlstand auf stabilen Ökosystemen, verlässlichen Rahmenbedingungen und inklusiven Institutionen beruht. Setzen wir unseren bisherigen Kurs fort, riskieren wir nicht nur Umweltzerstörung, sondern auch den langfristigen Zusammenbruch unseres Wirtschaftssystems. „Es ist ja nicht so, dass wir unseren Wohlstand aufrechterhalten können, wenn wir einfach weitermachen wie bisher“, warnte Clemens Fuest, Präsident des ifo-Instituts. „Also müssen wir uns umstellen, um langfristig unseren Wohlstand zu erhalten.“ Er ergänzte: „Man muss aber sagen, beim Umweltschutz besteht meines Erachtens nicht die Gefahr, dass wir zu schnell sind, eher zu langsam. Wir sollten uns ranhalten. Wir sollten Lasten lieber jetzt und bald auf uns nehmen, als sie ewig vor uns her zu schieben. Das haben wir zu lange getan.“

Diese Transformation ist also nicht optional, sondern dringend erforderlich – auch im Hinblick auf die langfristige Erhaltung unseres Wohlstands. Das Bundesverfassungsgericht hat bereits erklärt, dass das Verschieben von Klimaschutzmaßnahmen verfassungswidrig ist, da es die Lebensgrundlagen und die Freiheit künftiger Generationen gefährdet.

Nachhaltige Lösungsansätze bietet auch der European Green Deal, der ein klimaneutrales Europa skizziert, das Wohlstand, Gesundheit und Sicherheit für alle gewährleistet. Ebenso setzen die 17 UN-Nachhaltigkeitsziele einen Rahmen für einen gerechten, langfristigen Wohlstand – allerdings erfordert dies eine grundlegende Veränderung unserer Produktions- und Konsumgewohnheiten.

Die 17 UN-Nachhaltigkeitsziele sollen weltweit einen gerechten und langfristigen Wohlstand schaffen. Grafik: United Nations Informations Service

Was passiert, wenn wir weitermachen wie bisher?

Wissenschaftliche Erkenntnisse zeigen klar: Wir übernutzen unsere Lebensgrundlagen massiv. Der Earth Overshoot Day verdeutlicht, dass wir jährlich mehr Ressourcen verbrauchen, als die Erde innerhalb eines Jahres regenerieren kann. Im Jahr 2024 fiel dieser Tag global auf den 1. August. Das bedeutet, dass ab diesem Tag alle natürlichen Ressourcen für das gesamte Jahr aufgebraucht waren. In Deutschland war dieser Tag bereits am 2. Mai. Langfristig ist ein solches Wachstumsmodell nicht tragfähig, wie unsere Mitgründerin und  Transformationsforscherin Maja Göpel in ihrem Buch „Unsere Welt neu denken – Eine Einladung“ betont: „Expansion und Extraktion stoßen an ihre natürlichen Grenzen, wenn wir die Fähigkeit der Ökosysteme zur Regeneration zerstören.“

Hinzu kommt, dass wir bereits sechs der sogenannten planetaren Grenzen überschritten haben. Diese Grenzen definieren die Belastbarkeit der Erde, jenseits derer eine weitere Belastung riskant ist. Wir spielen also sprichwörtlich Russisch Roulette mit der Zukunft der Menschheit. Neben dieser Dimension sehen wir zunehmende geopolitische Risiken: Die sich mehrenden Wahlerfolge extrem rechter Parteien, die Machtansprüche Chinas, Russlands und der USA sowie die problematischen Einflüsse sozialer Medien im Privatbesitz weniger Milliardäre verschärfen die globalen Spannungen zusätzlich.

Trotzdem dominiert oft ein kurzfristiger Diskurs, der Klimaschutz und Ressourcensicherung hinten anstellt, stattdessen werden langfristige Themen von Debatten über die Stagnation des Bruttoinlandsprodukts (BIP) verdrängt. Beobachter warnen, dass die politische Landschaft zunehmend von einer „Partei-Politik-Paralyse“ geprägt ist – einer destruktiven Dynamik, die sich etwa durch die Akzeptanz von Desinformation und das bewusste Blockieren oder Scheitern demokratischer Koalitionsoptionen äußern könnte, wie wir es derzeit in Österreich beobachten können.

Gleichzeitig scheitert auch der Versuch, die multiple Krise der westlichen Gesellschaften durch immer mehr Geld zu heilen, weil die vielfältigen Krisen bedeuten, dass aus demselben wirtschaftlichen Wachstum nicht mehr dieselbe Menge Wohlstand generiert werden könne, wie Zeit-Journalist Bernd Ulrich schließt. Dazu müsse zu viel Geld ausgegeben werden für: „Pandemien, Klimafolgen, kalte Wirtschaftskriege, Verteidigung und so weiter.“

Wie also könnte Politik und Diskussionen über Politik aussehen und funktionieren, die langfristige Ziele ernst nimmt und damit Wohlstand, Versorgungssicherheit und die Lebensgrundlagen aller schützt?
Diese Frage muss in den Mittelpunkt gerückt werden, wenn wir die Zukunft verantwortungsvoll gestalten wollen.

Wer tut schon was?

Wissenschaftler der London School of Economics and Political Science (LSE) plädieren in ihrer Studie Value for Money: How to Improve Wellbeing and Reduce Misery für eine Neuausrichtung der staatlichen Ausgabenpolitik mit einem klaren Ziel: das Wohlbefinden der Bevölkerung zu maximieren. Statt ausschließlich das Wirtschaftswachstum zu fördern, sollten öffentliche Mittel gezielt in Maßnahmen investiert werden, die das Wohlbefinden pro ausgegebenem Pfund am meisten steigern.

Ein Beispiel ist die Berufsausbildung: Qualifizierten Bewerbern sollte ein Ausbildungsplatz garantiert werden, da diese das 14-fache ihres Kostenwertes einbringt. Ebenso empfehlen die Forscher den Ausbau psychologischer Therapieangebote – auch für Suchtkranke. Diese Maßnahmen helfen nicht nur den Betroffenen und ihren Familien, sondern tragen sich durch höhere Steuereinnahmen und geringere Sozialausgaben selbst.

Keir Starmer, der britische Premierminister, hatte bereits als Oppositionsführer angekündigt, jede staatliche Ausgabe daran zu messen, wie sie sich auf das Wohlergehen der Bürger auswirkt. Ob er dieses Versprechen einhält, bleibt rund ein halbes Jahr nach Amtsantritt noch offen.

Auch der kürzlich veröffentlichte Global Sustainable Competitiveness Index (GSCI) zeigt, dass es an der Zeit ist, das Bruttoinlandsprodukt (BIP) als alleinigen Erfolgsmaßstab zu überdenken. Der GSCI bewertet die langfristige Wettbewerbsfähigkeit von Ländern anhand ihrer Fähigkeit, in einer ressourcenbeschränkten Welt nachhaltig Wohlstand zu schaffen. Grundlage des Index sind 216 Indikatoren aus sechs Dimensionen: Naturkapital, Ressourcenmanagement, Sozialkapital, Wissenskapital, ökonomische Nachhaltigkeit sowie Governance. Die Daten stammen von internationalen Organisationen wie der Weltbank, dem IWF und den Vereinten Nationen.

Der GSCI bewerte die langfristige Wettbewerbsfähigkeit von Ländern anhand ihrer Fähigkeit, in einer ressourcenbeschränkten Welt nachhaltig Wohlstand zu schaffen. Dabei definieren die sechs Dimensionen zusammengenommen die Zukunftsaussichten der Länder.

Angeführt wird der Index von Schweden, gefolgt von Finnland und Dänemark. Deutschland liegt auf Platz 9, während die USA mit Rang 35 deutlich schlechter abschneiden. Letzteres wird auf Schwächen in der Ressourceneffizienz und im Sozialkapital zurückgeführt, was den Forschenden zufolge auf einen möglichen zukünftigen Rückgang des globalen Einflusses der USA hindeutet.

Trotz solcher Rankings bleibt die Realität ernüchternd: Der globale Durchschnittswert der nachhaltigen Wettbewerbsfähigkeit liegt 2024 bei nur 43,9 von 100 Punkten. Von einer wirklich inklusiven, zirkulären Gesellschaft, die im Einklang mit der Umwelt lebt, sind selbst die Spitzenreiter noch weit entfernt. Besonders im Naturkapital weisen fast 55 Prozent der Indikatoren weltweit negative Trends auf, was auf eine weitere Verschlechterung der Umweltbedingungen hindeutet.

Zwar gibt es Fortschritte in der Ressourceneffizienz, doch das Tempo reicht nicht aus, um die drohende Klimakatastrophe abzuwenden. Es fehlt an politischer Vision, um Märkte konsequent in Richtung nachhaltiger Wettbewerbsfähigkeit zu steuern. Im Vergleich zur Unternehmenswelt agiert die Politik hier zudem deutlich langsamer und weniger effizient, wie Studienergebnisse zeigen.

Dennoch gibt es positive Entwicklungen: Laut einer Studie des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung (PIK) zeigen rund 30 Prozent aus einem globalen Datensatz mit subnationalen Regionen Entkopplungstendenzen zwischen CO₂-Emissionen und Wirtschaftswachstum. Für das Netto-Null-Ziel bis 2050 reichen die Einsparungen allerdings noch nicht aus. Besonders in den USA hat der Inflation Reduction Act (IRA) massive Investitionen in erneuerbare Energien angestoßen und damit regionales Wachstum ermöglicht. Auch eine Trump-Regierung wird die damit verbundenen Arbeitsplätze und Wohlstandsgewinne in Bundesstaaten wie Texas oder Florida nicht einfach ignorieren können.

Der Inflation Reduction Act (IRA) hat in den USA unter anderem massive Investitionen in erneuerbare Energien wie Wind- und Solarkraft angestoßen. Foto: IMAGO / Danita Delimont

Wie ist der nächstmögliche Schritt?

Um unseren Wohlstand langfristig zu sichern, ist es entscheidend, dass wir Umweltschutz als Investition in die Zukunft begreifen. Statt die Transformation als Kostenfaktor zu sehen, sollten wir die Risiken der Untätigkeit in den Fokus rücken.

Der Ökonom und Direktor des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung (PIK), Ottmar Edenhofer, bezeichnete die Erzählung mehrerer Parteien, der Klimaschutz sei schuld an der Wirtschaftskrise, als „fatal“. „Richtig ist: Wenn wir jetzt mitten im Umbau stecken bleiben, verlieren wir die Zukunft.“ Denn wer meine, durch einen Stopp der Klimaschutzpolitik würden wir wieder wettbewerbsfähiger, der verdrehe die Wirklichkeit. „Zu den Gewinnern gehören wir nur, wenn wir nach vorne gehen.“ Auch kritisierte er, dass nicht mehr darüber gesprochen werde, was ein ungebremster Klimawandel koste – bis 2050 nämlich rund sechsmal so viel wie die Investitionen in Schutz- und Anpassungsmaßnahmen.

Dies verdeutlicht, dass die vermeintliche Sparsamkeit des Abwartens ein gefährlicher Trugschluss ist und wir die Kosten der Untätigkeit ebenso thematisieren sollten. Zwar mag das Streichen von Maßnahmen auf den ersten Blick billig(er) erscheinen, langfristig gefährdet dies jedoch unseren Wohlstand, unsere Lebensgrundlagen und damit unsere Sicherheit. Felix Ekardt, Leiter der Leipziger Forschungsstelle Nachhaltigkeit und Klimapolitik, geht noch einen Schritt weiter und erklärt, dass Demokratie, Frieden, Umweltschutz und Wohlstand nur gemeinsam funktionieren würden. „Und sie gelingen nur, wenn unser Alltag und das Wirtschaften rasch und radikal postfossil werden. Postfossilität ist also nicht öko – sie ist vielmehr Voraussetzung auch für Frieden und Wohlstand.“

Um dieses langfristige Denken politisch zu etablieren, ist es sinnvoll, die Generationenperspektive einzuführen. Ein inspirierendes Beispiel dafür ist der „Well-being of Future Generations Act“ in Wales. Das Gesetz sorgt dafür, dass bei politischen Entscheidungen die langfristigen Auswirkungen auf kommende Generationen berücksichtigt werden. Ein Future-Generations-Beauftragter prüft dort, ob politische Maßnahmen nachhaltig und zukunftsfähig sind. Solche Ansätze könnten auch in Deutschland helfen, die oftmals kurzfristige und wahlkampfgetriebene Politik zu durchbrechen. In der EU sollen die Interessen der zukünftigen Generationen fortan ebenfalls mitgedacht werden. Neben den Themen Jugend, Kultur und Sport soll EU-Kommissar Glenn Micallef nun auch Verantwortung für zukünftige Generationen übernehmen – ein bedeutsamer Schritt mit Blick auf die langfristige Wohlstandsbewahrung.

Bürgerinnen und Bürger aktiv in Entscheidungsprozesse einzubinden, stärkt die Demokratie und führt oftmals zu ambitionierteren Gesetzesvorschläge. Foto: IMAGO / Middle East Images

Insbesondere in wilden Zeiten wie derzeit, wo längst beschlossene Ziele plötzlich wieder infrage gestellt oder gar revidiert werden, könnte es helfen, auf wissenschaftliche Erkenntnisse als Grundlage für politische Maßnahmen zu setzen und so ideologischen Streit zu minimieren. Bürgerräte und Dialogformate, in denen die Bürger umfassend von Experten informiert und aktiv in Entscheidungsprozesse eingebunden werden, haben immer wieder unter Beweis gestellt, ambitioniertere Gesetzesvorschläge zu machen als die sich im Amt befindende Regierung. Das stellte etwa der Bürgerrat „Ernährung im Wandel: Zwischen Privatangelegenheit und staatlichen Aufgaben“ unter Beweis. Dies stärkt nicht nur die Qualität politischer Entscheidungen, sondern auch das Vertrauen in die Demokratie.

Die bevorstehende Transformation mag herausfordernd sein, doch der Preis des Stillstands ist weitaus höher. Mit der Bundestagswahl bietet sich uns erneut die Möglichkeit, uns für eine weitsichtige Politik auszusprechen, die den Schutz von Umwelt und Klima als Grundpfeiler für wirtschaftlichen Wohlstand, gesellschaftliche Sicherheit und den Schutz unserer Lebensgrundlagen begreift.

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Credit: IMAGO / dts Nachrichtenagentur

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